Tanzplattform 2022

Fünf Tage lang war beim Festival „Tanzplattform 2022″ im HAU und auf diversen anderen Berliner Bühnen ein Querschnitt aktueller Choreographien und Produktionen zu sehen.

Zur Eröffnung durch Kulturstaatsministerin Claudia Roth gastierten die „Tanzanweisungen (it won´t be like this forever)“ am Deutschen Theater Berlin: Daniel Conant, dessen schlaksige Figur durch das Muskelshirt, das er bei weitem nicht ausfüllt, noch zusätzlich betont wird, steht ganz allein auf der leeren Bühne und setzt zu einem Schuhplattler an.

Bei der Premiere am 7. Juni 2020 muss dieses Intro noch stärker gewirkt haben: vor nur 50 Zuschauern und mit großen Abstandsregeln stand der Tänzer ganz verloren auf der gewaltigen Szenerie der Bayerischen Staatsoper und parodierte das Brauchtum.

Daniel Conant in der fast leeren Bayerischen Staatsoper. Bild: Wilfried Hösel

Postmodern-ironisch geht auch der Rest der halben Stunde weiter: der Solist probiert allerlei Posen aus, die mit Männlichkeit assoziiert werden, vom Boxer über den Rocksänger bis zum Widerstandskämpfer.

In nur knapp einer Woche hat Choreograph Moritz Ostruschnjak diese sympathische Post-Lockdown-Fingerübung im Frühsommer 2020 mit seinem Performer entwickelt. Bei der Tanzplattform stehen ihre „Tanzanweisungen (it won´t be like this forever)“ stellvertretend für all die Formate, die unter dem ersten Schock des Ausnahhmezustands abgerungen und ausprobiert wurden.

Ein avantgardistisches kleines Format in den Uferstudios in einer der ungentrifizierten Ecken des Weddings ist „Allongé“ von Julian Weber. Vor dem Festival gab es nur zwei Vorstellungen an den letzten beiden Abenden vor dem zweiten Corona-Lockdown 2020/21, der das kulturelle Leben so viele Monate lahmlegte. Im Zentrum dieser einstündigen Choreographie stehen die sphärische Musik von Evelyn Saylor, die mit diversen Stilen und Einflüssen spielt, und der Auftritt des Pole-Dancers György Jellinek in knapper Unterwäsche und auf High Heels.

György Jellinek in „Allongé“ auf High Heels. Bild: Dieter Hartwig

Es ist verdienstvoll, dass die Tanzplattform auch diese Arbeit eines Choreographen präsentiert, der schon mit „Perineum“ aufgefallen ist. Allerdiings ist die im Programmheft angesprochene Auseinandersetzung mit der bildhauerischen Arbeit Constantin Brânçusi oft recht schwer zugänglich.

Auch Being pink ain´t easy“ wirkte ziemlich verkopft. Diese Auseinandersetzung von Joana Tischkau mit Posen und klischeehaften Männlichkeitsbildern war seit 2019 schon mehrfach in den Sophiensaelen sowie als Stream während des Performing Arts Festivals 2021 zu sehen.

Zu den kleinen, leisen Formaten dieser Tanzplattform-Ausgabe zählte desweiteren „She Legend“ von Carolin Jüngst/Lisa Rykena, das im HAU 3 gastierte, ebenfalls schon vor der Corona-Pandmie im Winter 2019 beim Nordwind-Festival auf Kampnagel Premiere hatte und als Aufzeichnung noch bis 26. März bei brut Wien abrufbar ist. In einer 40minütigen Mischung aus Tanz, Clownerie, Musikkabarett und Requiem spielt das Duo, das seine Choreographie auch live performt, mit Musik-Stilen, Ohrwürmern und comichaften überzeichneten Gesten. In cyborgartigen Kostümen wechseln sie zwischen melancholisch-düsteren und aufgedrehten Stimmungen. Auch hier bleibt aber unklar, was die Künstlerinnen über ein ironisches Spiel mit Posen hinaus erzählen wollen. Dies zog sich wie ein roter Faden durch viele Arbeiten, die bei der Tanzplattform präsentiert wurden.

Choreograph Fabrice Mazliah und drei Performer*innen erforschen in ihrer sehr experimentellen, am Frankfurter Mousonturm entstandenen Arbeit „Telling Stories – A version for three“ die Wahrnehmung des Raums und der Bewegungsmuster. Im Grenzbereich zwischen Performance und Tanz tasten sie sich über eine Mosaikfläche und verharren in bewusst sehr ungelenken Posen.

In ironischen Kommentaren vergleichen sie ihre Miniaturen mit berühmten Filmszenen aus „Titanic“ oder „Odyssee durchs Weltall“. Der Tisch, der von Beginn an im Zentrum ihrer Dialoge steht, kommt erst gegen Ende auch ganz leibhaftig ins Spiel und ist eine der wenigen Requisiten auf ansonsten leerer Spielfläche.

Die mitreißendste Choreographie konnte am Festival-Abschlusstag nicht mehr live gezeigt werden. Wie so viele andere Aufführungen in den vergangenen Wochen fiel auch „Pack“ krankheitsbedingt aus. Der qualitativ hochwertige Mitschnitt, den das Presseteam der Tanzplattform zur Verfügung stellte, vermittelt jedoch einen guten Eindruck von der Energieleistung der sechs Tänzer, die am Sonntag Nachmittag die Choreographie von Maria Chiara de‘Nobili & Alexander Miller im HAU 2 tanzen sollten.

Auch hier erleben wir eine Auseinandersetzung mit Männlichkeitsposen und männerbündischen Ritualen, die sich thematisch durch die fünf Tage zog. „If you want to be one of us“ ist das Leitmotiv der kurzen Sprachsequenz in dieser von Urban Street Dance und Hiphop dominierten, mit einer Stunde etwas zu langen Arbeit, die für das Festspielhaus Hellerau entwickelt wurde. Momente des Gemeinschaftsgefühls und sogar von Zärtlichkeit schlagen um in Revierkämpfe, Gewalt und Imponiergehabe.

Die nächste Tanzplattform-Festivalausgabe wird in zwei Jahren am Theater Freiburg stattfinden.

Vorschaubild aus „Pack“: Carsten Beier

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