All right. Good night

Als „Ein Stück über Verschwinden und Verlust“ hat Helgard Haug, eine der Köpfe des Rimini Protokoll-Kollektivs, diesen Abend überschrieben. Wer einen typischen Rimini-Abend mit den Expert*innen des Alltags erwartet, geht hier in die Irre. Auch wer mit den Seherwartungen klassischen Sprechtheaters unvorbereitet in dieses minimalistische Lese-Konzert hineingerät, dürfte sich erstmal „im falschen Film“ fühlen, wie ein Sitznachbar bei der Wien-Premiere im Volkstheater raunte.

Wie üblich hat Rimini Protokoll „All right. Good night“ diesen „Bühnenessay“, wie es Michael Wolf im ehemaligen Zentralorgan ND treffend einordnete, mit den langjährigen Kooperationspartnern an den Produktionshäusern (dem Berliner HAU, dem Frankfurter Mousonturm und dem Essener PACT Zollverein) erarbeitet. Im Boot sind diesmal aber auch das Festival „The Factory“ in Manchester und das Wiener Volkstheater, das unter der neuen Leitung von Kay Voges nach langer Durststrecke gleich zwei Theatertreffen-Einladungen feiern darf.

Zwei Erzählstränge führt Haug an diesem Abend parallel: die sehr persönliche Erinnerung an die fortschreitende Demenz ihres Vaters und die Recherchen zum mysteriösen Verschwinden des Flugs MH 370 vor mittlerweile 8 Jahren über dem Indischen Ozean. Wirklich schlüssig ist die Kombination der beiden Stränge, die ineinander montiert werden, nicht: ja, beide erzählen vom Verschwinden und einem Verlust. Doch der bedrückende, autobiographische Bericht der Regisseurin, wie sie mitansehen musste, wie ihr Vater nach ersten Alarmzeichen wie kleinen Aussetzern immer hilfloser wurde, ist um Längen stärker und eindrucksvoller als der sachliche Bericht über die weitgehend erfolglosen Ortungsversuche nach Trümmern der im März 2014 verschwundenen Boeing.

Abgesehen von einigen aus dem Off eingesprochenen Texten ist das Publikum gefordert, die Reflexionen, die an eine Gazewand projiziert werden, mitzulesen. Live wird der Essay von Musiker*innen des Zafraan Ensembles begleitet, die eine Komposition von Barbara Morgenstern spielen. Meditiativ und leise beginnt der Abend, wird im Verlauf der knapp 2,5 Stunden expressiver und eindringlicher. Eine stärkere Verdichtung auf das Wesentliche hätte die Lese-Performance jedoch noch überzeugender gemacht. Schon nach der Premiere im Berliner HAU kurz vor Weihnachten 2021 hatten einige Kritiker*innen den Eindruck, dass der Abend einige Redundanzen aufweist.

Die Theatertreffen-Jury ist von „All right. Good night“ so überzeugt, dass sie den Abend in die 10er Auswahl einlud. Dies fügt sich ein in die Vorliebe der aktuellen Jury für kleine, oft sehr minimalistische Abende, die in poetischen Suchbewegungen an den Rändern des Sprechtheaters kreisen. Fulminant mit Starpower auftrumpfende Festival-Koproduktionen wie „Richard the Kid and the King“ hatten diesmal keine Chance.

Dies ist aber nicht die einzige Einladung für „All right. Good night“: das Lesekonzert wird im Frühjahr und Sommer auch bei den Mülheimer Theatertagen, dem wichtigsten Uraufführungsfestival, und bei Impulse, einem der zentralen Festivals der Freien Szene. Im Herbst wandert „All right. Good night“ dann weiter an den Mousonturm nach Frankfurt, wo wenige Tage später das Festival „Politik im Freien Theater“ beginnen wird. Kurz zuvor wurde „All right. Good night“ von der „Theater heute“-Jury auch Stück des Jahres gekürt.

Bild: © Merlin Nadj-Toma

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