Als nostalgisches Puppen-Kabarett für Theaterwissenschaftler und Brechtianer beginnt der Abend im Theater im Schiffbauerdamm, der zu Ehren des Ahnherrn „Brechts Gespenster“ überschrieben ist. Suse Wächter und Hans-Jochen Menzel, langjähriger Leiter des Puppenspiel-Studiengangs der HfS Ernst Busch, witzeln sich mit ihrer Nummernrevue durch den V-Effekt und die Grundzüge des epischen Theaters, Gott, Karl Marx, Luciano Pavarotti, Henry Ford und einige mehr haben kurze Auftritte. Ein erstes kleines Highlight ist die schrullige Parodie von Manfred Wekwerth, der als Brecht-Nachfolger von 1977 bis 1991 Intendant des Berliner Ensembles war, seinen Wikipedia-Eintrag gegenliest und sich mit Maggie Thatcher anlegt.
Während der ersten Stunde hat der Abend den Charakter einer kulturgeschichtlichen Nummern-Revue, die Szenen sind nur lose aneinander gereiht. In diesem BE-Auftragswerk treten überraschend viele Geistesgrößen aus ihrem knapp zwanzig Jahre alten Klassiker „Helden des 20. Jahrhunderts“ auf (Co-Produktion von TAT Frankfurt/Theater Basel 2003, die in Berlin auch an Castorfs Volksbühne gastierte). Brechts Frauen kommen mal wieder zu kurz, wie Georg Kasch in der Berliner Morgenpost zurecht monierte. Am stärksten ist Suse Wächter, wenn sie bei der Lockdown-Ausgabe des Augsburger Brecht-Festivals 2021 kurze Schlaglichter und Miniaturen aufblitzen lassen kann. Über die längere Distanz von 90 Minuten wirken die Puppen-Kabarett-Einlagen etwas zu willkürlich aneinander gestückelt.
Dem letzten Drittel des Abends drückt Bernd Stegemann, Dramaturg, politischer Essayist und Stichwortgeber von Sahra Wagenknecht seinen Stempel auf. Die Puppen klagen in einer präzisen soziologischen Beschreibung über das ausbleibende Aufstiegs-Versprechen, das der Bonner Republik Stabilität verlieh. Sie legen den Finger in die Wunde der prekären Lieferdienste- und Mc-Jobs, bei denen sich viele für einen Hungerlohn abstrampeln. Zum Schluss machen sie sich noch über die Ikone des Neoliberalismus, der prägenden Ideologie der 90er und 00er Jahre lustig: Margaret Thatcher kommt als bis auf das Skelett abgemagerte Zombie-Puppe wieder auf die Bühne und darf ihre berühmten Parolen wie „There´s no such thing as society“ zum Besten geben.
Recht unvermittelt endet der launige Abend schon nach 90 Minuten. Freundlicher Applaus für eine Hommage an den Übervater des Hauses und eine einigermaßen unterhaltsame Nostalgie-Kabarett-Revue, die im letzten Drittel auch musikalisch und textlich etwas mehr Schwung bekommt, aber nur die wenigsten vom Hocker reißt. Für die große Bühne sind die „charmanten Nümmerchen“ (so auch Christine Wahl im Tagesspiegel) etwas zu leichtgewichtig. Ursprünglich sollte Suse Wächters Inszenierung als Sommer-Open-Air-Spaß zum Ausklang der gerade abgelaufenen Spielzeit laufen, das wäre das geeignetere Setting gewesen. Etwas verloren wirkt der Abend nun, der auf die Vorbühne des Großen Hauses verlegt wurde, im Bühnenbild zur „Dreigroschenoper“ von Barrie Kosky.
Bild: Jörg Brüggemann