In froschgrünen, hautengen Ganzkörper-Anzügen trippeln sechs Spieler aus dem Gorki-Ensemble und der Live-Musiker Falk Effenberger auf die Studiobühne. Hinter ihnen sind alte Röhrenfernseher aufgereiht, von VHS-Kassetten wird die DDR-Fernsehverfilmung einer prägenden Inszenierung der späten Jahre des untergegangenen Staates abgespult.
Während auf den krisseligen Bildern Ruth Reinecke, Monika Lennartz und Ursula Werner seufzen und leiden, sich voller Pathos „Nach Moskau!“ sehnen, imitieren die meist jungen Spieler vorne ihre Gesten und Tonlage. Der hohe Ton und feinfühlige Realismus, mit dem damals Peter Stein an der Schaubühne in Berlin-West oder Thomas Langhoff am Maxim Gorki Theater in Berlin-Ost zelebrierten, wirkt aus heutiger Sicht vier Jahrzehnte später gewöhnungsbedürftig. Während der Corona-Lockdowns holten viele Theater ihre Schätze aus den Archiven. Dort zeigte sich: Die Theatermoden sind über die damaligen Spielweisen hinweggegangen, es dauert seine Zeit, sich in den Duktus einzuhören. Aber dieses Live-Reenactment auf der Gorki-Bühne gibt die damalige Inszenierung, die zwischen 1979 und 1993 sage und schreibe 157 mal auf dem Spielplan stand, der Lächerlichkeit preis und veralbert sie. Wenn sich die VHS-Kassette zwischendurch aufhängt, flitzen alle Froschmänner zum Recorder und pusten den Staub weg, bis das Gerät wieder funktioniert.
Der interessanteste Teil der Reenactment-Persiflage ist das Video-Interview mit den drei prägenden Spielerinnen der Gorki-Theater-Geschichte. Sie dürfen einige nachdenkliche Sätze zur damaligen Situation, zu den enttäuschten Hoffnungen, zu Sehnsuchtsorten und zum Kristallisationspunkt Moskau sagen. Aber nicht mal diese Sätze lässt Regisseur Christian Weise für sich wirken, auch diese Passagen werden von den Gorki-Spielern, die mittlerweile keine Frosch-Anzüge, sondern Frauenkleider im Stil des 19. Jahrhunderts tragen, nachgesprochen und ironisch gebrochen.
Immer häufiger werden im zweiten Teil der 95minütigen Inszenierung einzelne Sätze aus der Original-Inszenierung geloopt, so dass sie noch lächerlicher wirken als im ersten Teil. Anlässlich des 70. Geburtstags des Hauses kam das „Drei Schwestern“-Reenactment Anfang Oktober zur Premiere, aber die Premierenkritiken waren recht einhellig der Meinung: mit dieser Veralberung der eigenen Geschichte hat sich das Haus keinen Gefallen getan hat. Der Erkenntnisgewinn der Unternehmung bleibt sehr gering, ihr Unterhaltungswert ist Geschmackssache. Christian Weise wusste mit dem Tschechow-Klassiker ähnlich wenig anzufangen wie Karin Henkel bei ihrer „Drei Schwestern“-Travestie im November 2018 am Deutschen Theater Berlin.
Bild: Esra Rotthoff