Schon im Mai 2022, vier Monate vor dem Start der „Frauen Freiheit Leben“-Revolution, dominierten selbstbewusste Frauen-Figuren aus dem Iran das Filmfestival von Cannes.
Neben den beiden preisgekrönten Starschauspielerinnen Leila Hatami in „Imagine“ von Ali Berad und der vor kurzem wieder aus der Haft entlassenen Taraneh Alidoosti in „Leila´s Brothers“ von Saeed Roustayi machte vor allem Sahra Amir Ebrahimi, die nach Gefängnisstrafe und Berufsverbot mittlerweile in Frankreich lebt, auf sich aufmerksam. Für ihre Rolle als investigative Journalistin Arezu Rahimi wurde sie mit einer Silbernen Palme als beste Schauspielerin ausgezeichnet.
Diese Figur ist frei erfunden, aber auf Tatsachen beruht der Rest des Films, der trotz drastischer Szenen mehr wütendes Gesellschaftsporträt als Krimi-Thriller ist. 2001 ermordete ein Handwerker in der Pilgerstadt Maschhad 16 Prostituierte, er sah sich im Djihad und hielt es für seine religiöse Pflicht, die Straßen vom „Dreck“ zu befreien. Die iranische Presse bezeichnete ihn damals als „Spinnenmörder“, Abbasi studierte zu der Zeit in Teheran, kurz bevor er nach Stockholm zog.
In einer Parallelhandlung schildert „Holy Spider“ die Mordserie im Noir-Stil und die Ermittlungen der Journalistin, gedreht in der jordanischen Hauptstadt Ammann. In ebenso düsteren wie drastischen Bildern zeigt Abbasi den Todeskampf der in Fallen gelockten, erwürgten Sexarbeiterinnen und die Hürden und Belästigungen, mit denen sich die emanzipierte Frau herumschlagen muss.
Mit kühler Präzision steuert „Holy Spider“ auf die Konfrontation seiner Hauptfiguren zu und kostet den Thrill aus. In den abschließenden Volten beleuchtet der Film die Korruption der Justiz im iranischen Mullah-Regime: Wer setzt sich durch? Wird der Täter verurteilt? Oder findet die Theokratie ein Schlupfloch, so dass er freigelassen werden kann? Das fordern Saeeds Anhänger auf der Straße, auch sein Teenager-Sohn verehrt ihn in einem Video als Helden.
Die Rolle des Mörders spielt der iranische Schauspieler Mehdi Bajestani, der nach dem Dreh nach Berlin ins Exil ging. Für die zweite Hauptrolle war ursprünglich eine andere iranische Schauspielerin vorgesehen, die jedoch kurzfristig absprang, da ihr die Risiken zu groß wurden. Johanna Adorján beschrieb in der SZ, wie es dazu kam, dass Sahra Amir Ebrahimi, die ursprünglich nur als Casting-Agentin vorgesehen war, einsprang und welche Vorfälle sie 2006 ins Pariser Exil trieben.
Nach der Premiere in Cannes tourte „Holy Spider“ über diverse Festivals wie Busan, Hamburg, London, Telluride oder Toronto, war in mehreren Kategorien des Europäischen Filmpreises nominiert, wurde von Dänemark, wo der Film maßgeblich produziert wurde, für den Oscar in der Kategorie „Bester nicht-englischsprachiger Film“ eingereicht und startete am 12. Januar in den deutschen Kinos.
Bilder: Alamode Film