Antigone

Um Leonie Böhm ist es wieder etwas stiller geworden. Als sie mit ihren ersten Arbeiten an den Münchner Kammerspielen und später als Hausregisseurin am Schauspielhaus Zürich überregional bekannt wurde, gab es einen kurzen Hype um sie und sogar eine Theatertreffen-Einladung im Corona-Jahr 2020.

Markenzeichen ihrer Arbeit ist, dass sie einen bekannten Klassiker aus dem Kanon männlicher Autoren nimmt und mit ihren Spielerinnen eine freie Stückentwicklung zu zentralen Themen assoziiert. In ihrer zweiten Gorki Theater-Arbeit hat sie sich nach Ibsens „Nora“ (2021) diesmal die „Antigone“ sehr frei nach Sophokles vorgenommen. Um Scham, das Übertreten von Normen, das Sterben und den Tod kreisen die Mono- und Dialoge der vier Spielerinnen: Eva Löbau und Julia Riedler, die schon in Matthias Lilienthals Münchner Ensemble dabei waren, und die Gorki-Spielerinnen Lea Draeger und Çiğdem Teke, begleitet von Fritzi Ernst am Keyboard.

In diesen nachdenklicheren Passagen kommt der eine Stunde und 45 Minuten lange Abend etwas zur Ruhe. Zwischendurch flechten die Spielerinnen auch ein paar Schnipsel aus der Tragödie von Sophokles ein, der berühmteste Satz („Ungeheuerlich ist vieles, doch nichts ist ungeheuerlicher als der Mensch“) wird an mehreren Stellen eingefügt. Das Ensemble bediente sich aus mehreren Sophokles-Übersetzungen, manchmal weht sogar der archaische Klang der Hölderlin-Fassung in den Saal.

In diesen Momenten wird die Fallhöhe zum Rest des Abends besonders groß. Dann das zweite Markenzeichen von Leonie Böhms Klassiker-Verzwergungen ist ihre hemmungslose Albernheit. In bester Kindergeburtstag-Manier wälzen sich die Spielerinnen im Schlamm, reißen sich die Kleider vom Leib (nur Lea Draeger und die Keyboarderin ziehen hier für sich eine Schamgrenze) und beschmieren sich gegenseitig. Gleich zu Beginn lassen sie lange Spuckefäden auf die Gesichter der Mitspielerinnen klatschen und beziehen sich als Running Gag immer wieder darauf.

Der Böhm-Fanclub ist so groß, dass dieser banale Abend am Ende freudig beklatscht wurde. Jeder noch so kleine Versuch eines Gags wurde dankbar belacht. Ulrich Khuon, der kurz vor dem Ende seiner Intendanz in der Nachbarschaft vorbeischaute, atmete beim Verlassen des Theaters erst mal tief durch. So dürfte es vielen gehen, die das Theater- und Humorverständnis von Leonie Böhm und ihren (Stamm-)Spielerinnen nicht teilen.

Bild: © Ute Langkafel MAIFOTO

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