Heim-Suchungen

Zum Abschluss des ATT-Festivals hat sich das Deutsche Theater Berlin etwas Besonderes ausgedacht. Auf mehreren Routen wurde das Publikum an Orte geführt, die uns sonst verschlossen bleiben: wir lernten eine der Probebühnen kennen und durften auf der Bühne des großen Theatersaals sitzen.

Vorab musste man sich für eine Farbe entscheiden: den kompletten Parcours aller sechs szenische Lesungen bekam niemand, jede Gruppe durfte vier unterschiedliche Kurzvorstellungen besuchen.

Den stärksten Eindruck hinterließ Elisabeth Papes „Extra Zero“, für ihren sehr eindringlichen Text über die Therapiemethoden essgestörter Jugendlicher erhielt sie in diesem Jahr auch schon den Kleist-Förderpreis Frankfurt/Oder. Birgit Unterweger aus dem DT-Ensemble steht im Zentrum direkt neben der Toilettenschüssel, die Spieler*innen vom Jungen DT sind im Chor an den Rand gedrängt, langsam arbeitet sich eine von ihnen aus der Gruppe heraus und wird zum selbstbewussten Gegenpart der Erwachsenen-Perspektive (Mutter/Therapeutin/Ärztin), die von Unterweger verkörpert wird.

Um eine „Heim-Suchung“ im ganz wörtlichen Sinn ging es auch in „Brennendes Haus“ von Anaïs Clerc im aufwändigsten Szenenbild: Ev Benzing hat auf der Probebühne 2 einem Trauer-Altar mit dem Sarg aufgebaut, in dem Markwart Müller-Elmau liegt. Die jüngeren Generationen (Jörg Pose aus dem Ensemble und Zalina Sanchez vom Jungen DT) kommen, um Abschied zu nehmen und anzuklagen. Die Schweizer UdK-Absolventin Clerc, in der kommenden Spielzeit Hausautorin in Bern, verknüpft in ihrem überzeugenden Text die Missbrauchs-Erfahrungen junger Frauen, die am Theater unter #metoo-Erfahrungen leiden, und die Übergriffe, die zu lange in der katholischen Kirche vertuscht wurden.

Thematisch überfrachtet wirkt „Am Anfang war die Waffe“ von Amir Gudarzi: in einem wütenden Rundumschlag, den Enno Trebs, Niklas Wetzel und Kotbong Yang vortragen, schlägt er den Bogen von NSU und Hanau bis zum Giftgas-Einsatz im Iran-Irak-Krieg der 1980er Jahre. Einen stärkeren Eindruck hinterließ sein mittlerweile in Marburg uraufgeführtes, im vergangenen Jahr bei den ATT als szenische Lesung vorgestelltes Stück „Wonderwomb“.

Eine kleine Theaterbetriebs-Satire steuerten Elias Arens und Bernd Moss in Marcus Peter Teschs „Schranzn“ bei, das in einem Gay-Club im niederbayerischen Städtchen Deggendorf endet. Publikumslieblinge dieser szenischen Lesung waren die beiden Kinderdarsteller Béla Otlewski und August Usermann.

Bild: Arno Declair

 

 

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