Die Vielleichtsager

Zwischen Musical, sehr freier Brecht-Bearbeitung, tagesaktuellem Polit-Kommentar und Sci-Fi-Klimakrisen-Drama versuchte sich Alexander Eisenach mit „Die Vielleichtsager“ im Neuen Haus des Berliner Ensembles an seinem ganz eigenen Genre.

Von Brechts Lehrstück „Der Jasager und der Neinsager“ bleibt immerhin das Grundgerüst: das Trio (Malick Bauer, Lili Epply, Peter Moltzen) begibt sich auf unterschiedliche Missionen. Wie beim Ahnherrn des Theaters am Schiffbauerdamm willigt Malick Bauer ein, dass die anderen ihn einfach zurücklassen. Er ist bereit, sich fürs Kollektiv zu opfern. Im nächsten Durchgang stemmt sich Lili Epply mit einem Nein dagegen und pocht auf ihre Individualität.

Ansonsten ist von Brechts Original nur wenig geblieben, interessanterweise schimmert allerdings das Nō-Theater-Stück Tanikō aus dem 15. Jahrhundert, von dem sich Elisabeth Hauptmann, Kurt Weill und Bertolt Brecht für ihre Neuköllner Schuloper 1930 inspirieren ließen, in den traditionellen Gewändern (Kostüm: Julia Wassner) der Protagonist*innen, in der Bühnen-Verkleidung (Daniel Wollenzin) und im hohen, pathetischen Ton deutlich in Eisenachs Bearbeitung durch.

Nach und nach blättern der Duktus und die Ornamente, in einer Art Taucheranzug macht sich das Trio im letzten Drittel auf eine Expedition zu den Riesenkraken. Die Slapstick-Momente, die den hohen Ton schon zuvor immer wieder durchbrachen und ironisierten, nehmen nun überhand, allerdings zum Glück nie so stark wie in Eisenachs „Stunde der Hochstapler – das Krull-Prinzip“, die 2019 vollends in der Klamotte versank. 

Während der erste Teil noch ganz unmittelbar an die tagesaktuellen Diskussionen aus dem Herbst 2022 andockte, als Politik und Gesellschaft zitterten, ob es gelingen werde, Wohnungen, Fabriken und Theater im Winter mit Gas zu versorgen, driften die beiden nächsten Teile mehr und mehr in Richtung Fantasy. Auf dem Mars und in der Tiefsee sollen neue Lebensräume erkundet werden, nachdem die Menschheit den Planeten Erde zugrunde gerichtet hat, wie Eisenach bereits in seiner Volksbühnen-Inszenierung „Anthropos, Tyrann“ thematsierte, die im Corona-Lockdown Anfang 2021 nur als Stream gezeigt werden konnte.

Unvermittelt endet dieses von Song-Einlagen abgetrennte Gedankenexperiment-Triptychon. Eine runde Inszenierung glückte Eisenach aus diesen zu verschiedenen Versatzstücken leider nicht. Kurz vor Spielzeitende hatten „Die Vielleichtsager“ heute ihre Dernière. Den Regisseur zieht es ein paar hundert Meter weiter hinüber ans Deutsche Theater Berlin, wo er die Eröffnungs-Inszenierung der Intendanz von Iris Laufenberg stemmen muss.

Bild: Matthias Horn

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