Der Auftrag/Psyche 17

In dem Doppelabend „Der Auftrag/Psyche 17“ untersuchen Jan-Christoph Gockel und das Deutsche Theater Berlin den tiefschwarzen Heiner Müller-Text „Der Auftrag“ aus postkolonialer Perspektive.

Mehr als vier Jahrzehnte hat dieser moderne Klassiker bereits auf dem Buckel und tatsächlich weist der 25 Seiten schmale Abgesang auf die Französische und andere Revolutionen einige blinde Flecken auf. Dies markiert Gockel schon in der ersten Szene, in der er Aufnahmen aktueller „France dégage“-Proteste aus den in Chaos und Putschen versinkenden Ex-Kolonien Mali, Niger und Burkina Faso einblendet, während die Marseillaise furchtbar verzerrt erklingt.

Dem weißen Blick auf die Sklaven-Aufstände in Haiti und Jamaika setzt auch das neue DT-Ensemble-Mitglied Komi Mizrajim Togbonou, der mit Gockel bereits an den Münchner Kammerspielen arbeitete, einige reflektierende Exkurse entgegen. Dazu nutzt er die besten Passagen aus dem „Psyche 17“-Auftragswerk, das Elemawusi Agbédjidji für das DT geschrieben und Annette Bühler-Dietrich aus dem Französischen übersetzt hat.

In knapp anderthalb Stunden spielt das Ensemble, das zumeist aus Grazer Stammkräften der neuen Intendantin Iris Laufenberg besteht, den Müller-Klassiker nicht einfach nach, sondern beballert ihn mit weiteren Fremdtexten wie Georg Büchners „Dantons Tod“, ironisiert ihn durch betont lächerliche Sprechweisen und findet zu seinem Geschichtspessismismus auch den passenden Soundtrack mit dem leitmotivisch verwendeten The Doors-Klassiker „This is the end“.

Herausragend in dieser ersten Hälfte sind die Skullies-Masken und Ganzkörperkostüme von Claude Bwendua: das Trio der scheiternden Revolutionäre (Julia Gräfner, Florian Köhler und der schon erwähnte Togbonou) kurvt in einem klapprigen alten Auto über die Bühne und wird von den morbiden, zähnefletschenden Gestalten sowie Evamaria Salcher als The Doors-singendem Engel umkreist.

Diese postkoloniale Müller-Befragung mag zwar manchmal mehr durch Ausstattung und Regieeinfälle als durch Tiefenschärfe glänzen, wäre aber für sich genommen ein durchaus sehenswerter, kurzer Abend. Doch nach der Pause muss Gockel noch das sowohl inhaltlich als auch gedanklich dünne Auftragswerk „Psyche 17“ von Agbédjidji abarbeiten. Ein Veto von Müllers Verlag hat nach Informationen des Deutschlandfunks verhindert, dass beide Teile in einer Collage verschnitten werden, so dass sie sauber durch eine Pause getrennt wurden. Der togolesische Autor nahm den berühmten Traum-Monolog des Manns im Fahrstuhl als Ausgangspunkt und lässt eine Frau namens Mercy auf die Müller-Revolutionäre und einen Kometen treffen. Dieser Teil des Doppel-Abends ist jedoch nicht mehr als ein fader Nachklapp mit kleinen Comedy-Einlagen: so muss Isabelle Redfern auf der Suche nach ihrer Brille minutenlang die erste Reihe abklappern und darf sich über all die schlecht geputzten Gläser mokieren. Bis auf einen mit Szenen-Applaus belohnten Rap, bei dem auch die Skullies noch mal ihren Auftritt haben, plätschert der zweite Teil belanglos vor sich hin.

Fragezeichen wirft schließlich auch noch die Applausordnung am Schluss auf: Gockel holt nicht nur Raphael Muff auf die Bühne, der bei den nächsten Vorstellungen für Gockels Stamm-Puppenbauer und -spieler Michael Pietsch einspringen wird, während beide schon in München die nächste Premiere „Der Sturm/Das Dämmern der Welt“ vorbereiten, in der sie William Shakespeare mit Werner Herzog kurzschließen wollen. Überraschend bittet er auch Mercy Dorcas Otieno auf die Bühne, die Iris Laufenberg bei ihrer Eröffnungs-PK im Juni an besonders prominenter Stelle quasi als ihre Lieblingsschülerin vorstellte. Otieno war nicht nur am Auftakt-Wochenende im September mit dem #metoo-Monolog Prima Facie zu erleben, sondern sollte auch die Frau im Fahrstuhl an diesem Doppelabend spielen. Agbédjidji hat den Text ganz auf sie zugeschnitten, spielt sogar mit der Bedeutung ihres Vornamens Mercy.

Doch wenige Tage vor der Premiere wurde ohne weitere Begründung bekannt gegeben, dass bis auf weiteres Isabelle Redfern die Rolle von Mercy Dorcas Otieno übernimmt. Auch Redfern ist in Berlin keine Unbekannte: sie war von 2019 – 2022 im Ensemble der Schaubühne, ist dort noch in einigen Inszenierungen wie „Orlando“ und der Neufassung der „Rückkehr nach Reims“ zu sehen, in der vergangenen Spielzeit entwickelte sie im 3. Stock der Volksbühne als Spielerin und Co-Regisseurin die Tschechow-Überschreibung „Sistas“ mit, die nach ihren Erfolgen (u.a. tt-Shortlist) demnächst erstmals auf der großen Bühne am Rosa Luxemburg-Platz zu sehen sein wird. Souverän meistert Redfern die flachen Passagen dieses Texts als Einspringerin. Welche Hintergründe diese kurzfristige Umbesetzung notwendig machten, bleibt ungeklärt.

Bilder: Armin Smailovic

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