Prima Facie

Nach der überlangen „Weltall Erde Mensch“-Erkundung, die mit verhaltenem Applaus und zum Teil heftigen Verrissen (Rüdiger Schaper im Tagesspiegel, Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung) bedacht wurde, traf Iris Laufenberg mit der zweiten Premiere des Eröffnungswochenendes den Nerv eines großen Teils des Publikums.

Langer Jubel und stehende Ovationen für einen sehr emotionalen, knapp 100minütigen Monolog eines Vergewaltigungsopfers. „Prima Facie“ der Australierin Suzie Miller, die wie Ferdinand von Schirach sowohl Anwältin als auch Theaterautorin ist, bedient die Gefühlsklaviatur eines Broadway- und Westend-Hits perfekt. Der von Anne Rabe (gerade für die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominiert) übersetzte Text ist mitreißend, macht aber auch keinen Hehl daraus, wie schematisch und kühl er konstruiert ist.

Sehr zeigefingerhaft mündet „Prima Facie“ in eine Abrechnung mit dem männlich geprägten Rechtssystem. Mit aller Wucht positioniert sich der Text sehr eindeutig in den Grauzonen sexueller Übergriffe, die vor Gericht oft zu Schlammschlachten werden und aus Mangel an eindeutigen Beweisen in vielen Fällen mit Freisprüchen enden. Keine Frage: das Stück trifft einen wichtigen, diskussionswürdigen Punkt. Das Problem ist aber, dass der Abend jenseits seines „Fuck Patriarchy“-Furors keine Antwort anbietet, wie denn ein Strafverfahren und Rechtssystem konkret aussehen könnte, das diese höchst intimen Vorfälle, bei denen Aussage gegen Aussage steht, zweifelsfrei aufklären und ahnden könnte. Gut, dass sich Iris Laufenberg vorgenommen hat, das Diskurs-Programm und den Austausch mit dem Publikum zu fördern, in der neuen DT Kontext ist vor der morgigen zweiten „Prima Facie“-Vorstellung die Strafrechts-Anwältin Christina Clemm zu Gast. Der wütende Aufschrei der Protagonistin Tessa Ensler (benannt nach den 1990er Jahre „Vagina-Monologen“) schreit jedenfalls geradezu danach, das Thema facettenreich zu vertiefen.

Sehr minimalistisch ging der ungarische Regisseur András Dömötör an die Aufgabe heran, den Broadway-Hit zu inszenieren. In Berlin ist er kein Unbekannter, seit vielen Jahren inszeniert er am DT, aber auch am Gorki, meist jedoch – wie auch hier – nicht auf der großen Bühne. Mit „Verführung“ und „karpatenflecken“ sind auch zwei seiner Arbeiten aus der Khuon-Ära weiter im Repertoire. Zur Lounge- und Jazz-Musik seines musikalischen Partners Tamás Matkó tänzelt die Schauspielerin Mercy Dorcas Otieno auf die fast leere Bühne.

Sie wirft sich in die emotionale Achterbahnfahrt ihrer Figur: anfangs selbstbewusst-breitschultrige Top-Anwältin im Business-Kostüm, die aus einfachen Verhältnissen aufstieg und es allen gezeigt hat, nach einer kurzen Schwarzblende im zweiten Teil aufgewühltes, sich unter dem Druck des Kreuzverhörs in Widersprüche verstrickendes Vergewaltigungsopfer, das schließlich am eigenen Berufsstand (ver)zweifelt.

Mercy Dorcas Otieno, kenianisch-österreichische Schauspielerin, die als Au Pair nach Europa kam und bei Laufenberg in Graz ihr erstes Engagement bekam, liegt der neuen Intendantin ganz besonders am Herzen, wie schon bei der Pressekonferenz im Juni deutlich wurde. Auch in Berlin ist sie keine Unbekannte mehr: mit Bochumer Produktionen, wo sie von Graz aus hinwechselte, war sie gleich 2x zum Theatertreffen eingeladen: als Gertrude im ganz auf Sandra Hüller zugeschnittenen Hamlet, der 2020 nur aus dem leeren Schauspielhaus gestreamt wurde, und in diesem Frühjahr in der deutsch-niederländischen Produktion Bus nach Dachau. Davon blieb vor allem in Erinnerung, dass sie beim Schlussapplaus mit großem Schild eine Wohnung in Berlin suchte.

Otieno spielt die Rolle voller Leidenschaft und mit beeindruckender Körpersprache. In ihrer Wut verschluckt sie allerdings zu oft Silben oder hat als Nicht-Muttersprachlerin mit Artikeln zu kämpfen, so dass die Textverständlichkeit vor allem in der ersten Hälfte etwas litt.

Eine Anekdote am Rande dieses sehr ernsten Stücks ist, dass ausgerechnet ein ehemaliges Ensemble-Mitglied des Schauspielhauses Bochum diesen Miller-Text spricht, in dem es an zwei kurzen Stellen darum geht, dass Taxifahrer, obwohl sie an der Reihe wären, einen Fahrgast ablehnen, da ihnen die kurze Strecke nicht lukrativ genug erscheint. Bei meiner letzten Ankunft am Bochumer Hauptbahnhof war es schier ein Ding der Unmöglichkeit, einen der zahlreichen Taxifahrer zu bewegen, mich ins mehrere Kilometer entfernte Hotel zu bringen. Aber auch sonst ist die Ruhrgebietsstadt mit ihrer demonstrativen Hässlichkeit nicht besonders einladend. Sollte es mich wieder dort hinverschlagen, hätte ich gerne eine solch robust auftretende, mit Konsequenzen drohende Anwältin, wie sie Otieno im ersten Teil des „Prima Facie“-Abends verkörpert.

Bilder: Thomas Aurin

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