Hedda

Schon in der vergangenen Spielzeit startete Oliver Reese am Berliner Ensemble ein interessantes Experiment: Nachwuchsregisseur*innen bekommen die Chance, auf der kleinsten Bühne des Hauses im Werkraum zwei Arbeiten zu realisieren. Im ersten Worx-Jahrgang war Fritzi Wartenberg u.a. mit Alias Anastasius, einem Stück über eine frühe queere Figur, die die Geschlechterrollen sprengte, sie ist dem BE weiter verbunden und darf in der kommenden Woche im Neuen Haus Ingeborg Bachmanns „Malina“ adaptieren.

Mit Geschlechterrollen und patriarchalen, heteronormativen Strukturen befasst sich auch Heiki Riipinen, ein norwegisch-finnischer Regisseur, Kurator und Dragqueen-Künstler. Nach einem sechsstündigen „Insomnia“-Trip durch die Welt der Trolle zum Spielzeitauftakt nahm er sich zum Frauentag am 8. März einen Klassiker des 19. Jahrhunderts vor. In Ibsens „Hedda Gabler“ sind die Normen einer patriarchalen Welt so tief eingeschrieben, dass die Titelfigur keinen Ausweg sieht, als sich ihr Leben zu nehmen.

Überraschend ist, wie nah Riipinen in seinem Abend, der „Hedda“ nach Ibsen überschrieben ist, an der Vorlage bleibt. Auf ein kurzes Intro im Foyer folgt eine Inszenierung, die bestes Schauspielertheater bietet und die Vorlage mit frischem, queerem Blick und einigen komödiantischen Überzeichnungen auf die Bühne bringt.

Eine der wenigen Abweichungen, die sich Riipinen und sein Team gönnen: Pauline Knofs Hedda liegt zu Beginn schon tot im Saal, als Tante Julle (Max Gindorff im gouvernantenhaften Drag-Look) ganz aufgekratzt hereinstürzt. In den zwei Werkraum-Reihen ist das Publikum sehr nah am kammerspielartigen Geschehen im Wohnzimmer der Familie Tesman. Hedda ist in dieser Inszenierung eine selbstbewusste Frau, die ihrem tölpelhaften Mann (Marc Oliver Schulze) deutlich überlegen ist und der die Aussicht auf ein Leben als Hausfrau und werdende Mutter in einem schönen Eigenheim zu langweilig ist.

  Paul Zichner, Pauline Knof und Max Gindorff in „Hedda“

Zwischen dem ehemaligen, labilen Liebhaber Ejlert Løvborg (Paul Zichner), der naiv-träumerischen Thea Elstved (Max Gindorff als Idealbesetzung für diesen Drag-Auftritt) und dem übergriffigen Richter Brack (Nina Bruns in einer weiteren Cross-Gender-Rolle) bleibt Hedda kaum Luft zur Entfaltung. Im Salon plaudert man, schlägt die Beine übereinander, schmiedet Pläne und spinnt Intrigen, die tödlich enden.

Ibsens Hedda haben regelmäßige Theatergänger vermutlich schon mehrfach gesehen, legendär ist Thomas Ostermeiers Schaubühnen-Inszenierung aus dem Jahr 2005 mit Katharina Schüttler, Lars Eidinger und Jörg Hartmann in schicken Glaskästen am Kudamm, die dort immer noch im Repertoire ist, aber selten gespielt wird. Riipinen gelingt es, einen frischen, sehr zeitgenössischen Blick auf diesen Klassiker zu werfen, der die tragische Verstrickung und die Komik der Figuren sehr klar herauspräpiert. Für dieses Experiment bekam er sehr erfahrene Spieler*innen aus dem Ensemble an die Seite gestellt.

Die nächsten Vorstellungen im BE-Werkraum sind bereits ausverkauft, weitere Termine werden folgen.

Bilder: Moritz Haase

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