„Links ist vorbei“, dröhnt es von der Bühne der Münchner Kammerspiele. Genau diesen Satz schmetterte auch Friedrich Merz am Vorabend der Bundestagswahl seinen Anhängern ein paar hundert Meter weiter im Hofbräukeller entgegen.
Jette Steckel zeigt in ihrer Adaption von Klaus Manns Schlüsselroman „Mephisto“ (1936 im Exil verfasst) eine Gesellschaft, bei der es nicht nur mit „Links“, sondern insgesamt mit Demokratie, Freiheit und Menschenwürde vorbei ist.
Zwischen wuchtigen schwarzen Stelen, die an das Berliner Holocaust-Mahnmal erinnern, erleben wir ein Stück im Stück. Dies wird durch zahlreiche Zwischenrufe der Inspizientin aus dem Off klar und mit der Schluss-Szene unterstrichen. Seine Ex-Frau Barbara Bruckner (Linda Pöppel) macht Hendrik Höfgen alias Gustaf Gründgens (Thomas Schmauser) Vorwürfe, dass er für seine Karriere als Intendant der Preußischen Staatstheater seine Seele verkauft und seine Werte verraten habe. Mit einem hingehauchten „Text??“ wendet sich Schmauser an die Souffleuse. Die Generalabrechnung sitzt, er kann nichts erwidern.
In den – verspätungsbedingt – knapp vier Stunden erleben wir die Chronik eines vermeintlichen Aufstiegs, der in den Abgrund führt. In der ersten Hälfte entstehen Wimmelbilder einer sich um sich selbst drehenden Schauspieler-Blase in der Weimarer Republik, die Textfassung von Emilia Heinrich, Regisseurin Jette Steckel und Johanna Höhmann betont die Farce.
Nach einigen Längen geht es im zweiten Teil düsterer und konzentrierter weiter. Der Abend spitzt sich in der Konfrontation der Höfgen/Gründgens-Figur mit dem Ministerpräsidenten zu, der Hermann Göring nachempfunden ist. Thomas Schmauser und Edmund Telgenkämper liefern sich ein Duell in Ledersesseln.
„Mephisto“ ist eine ungewöhnliche Jette Steckel-Inszenierung. Starke Bilder, die ihre Arbeiten sonst prägen, gibt es diesmal kaum. Im Mittelpunkt stehen der Text und die Fragen: Wie soll sich das Theater zur Politik verhalten? Wann wird Anpassung zur Mittäterschaft? Wie weit darf ein Künstler gehen, um seine Karriere zu retten?
Steckel und ihr Team um den Co-Dramaturgen Carl Hegemann in der letzten Arbeit vor seinem Tod im Frühsommer betonen mit zahlreichen Anspielungen die Aktualität der Vorlage aus der NS-Zeit: Jung-Nazi Hans Miklas (Elias Krischke) zeigt nicht nur den Hitlergruß, sondern baut immer wieder tagesaktuelle Passagen in seinen Text ein. Die Debatte um Aufrüstung/Sondervermögen kommt ebenso vor wie Zitate aus dem AfD-Programm, die Egbert Tholl (SZ) entdeckte.
Eine Konstante von Steckels Arbeiten ist, dass sie wieder mit einem hochkarätigen Ensemble arbeitet. In der Titelrolle ragt Schmauser zwar heraus und wurde prompt für einen Faust-Preis für die beste Schauspiel-Leistung nominiert. Stärkster Konkurrent dürfte Milan Peschel mit seinem Auftritt in der René Pollesch-Hommage „Der Schnittchenkauf“ der Berliner Volksbühne sein. Außerdem wurde er von der „Theater heute“-Jury als Schauspieler des Jahres der Spielzeit 2024/25 ausgezeichnet, teilt sich diesen Titel allerdings mit Andreas Döhler und Moritz Kienemann.
Wie schon Steckels Kammerspiele-Debüt „Die Vaterlosen“ ist aber auch „Mephisto“ ein ausufernder Ensemble-Abend, der bis in kleinste Rollen klug besetzt ist, mit Erwin Aljukić in einer Hitler-Parodie, der beim Starschauspieler Sprechtraining nimmt, oder Bless Amada als Höfgens Liebhaber Julien.
„Mephisto“ hatte am 28. Februar 2025 im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele und wurde auch nach der gestrigen ausverkauften Vorstellung trotz später Stunde kurz vor 23 Uhr vom Publikum mit minutenlangem Applaus gefeiert.
Bilder: Armin Smailovic