Sehr interessant klingt der Blick, den Barrie Kosky, legendärer Ex-Intendant der Komischen Oper Berlin, auf Franz Kafka wirft. Im ausführlichen Programmheft-Interview begründet er seine These, dass die besondere Komik, die in der Ausweglosigkeit seiner Erzählungen und Fragmente liegt, stark vom jiddischen Theater und Vaudeville in seiner Prager Heimat zur vorigen Jahrhundertwende geprägt ist.
Zum Jubiläumsjahr dieses Autors, der unbestritten zu den prägendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts zählt, wurde sehr viel publiziert und produziert, u.a. vor einem Jahr eine ungewohnt brave, stadttheater-artige Nacherzählung von „Der Prozess“ von Oliver Frljić am Gorki Theater. Deshalb durfte man gespannt sein, wie ertragreich dieser Blick auf bislang weniger beleuchtete Facetten im Leben Kafkas sein könnte, der aus einer säkularen jüdischen Familie stammt.
Ans Berliner Ensemble brachte Kosky für seine zweite Gast-Inszenierung nach dem „Dreigroschenoper“-Dauerbrenner wieder seinen musikalischen Leiter und Pianisten Adam Benzwi und Alma Sadé aus dem Ensemble der KOB mit, die als Kafkas späte Lebensgefährtin Dora Diamant stimmlich glänzt.
Der Rest der sehr langen drei Stunden leidet darunter, dass das Sprechtheater dominiert und Miniaturen aus dem „Prozess“-Fragment allzu beliebig neben den Tagebucheinträgen aus Kafkas letztem Lebensjahr und Szenen aus mehreren Erzählungen aneinandergereiht werden. Ohne klaren roten Faden springt der Abend von Schnipsel zu Schnipsel, umkreist die von Kathrin Wehlisch verkörperte „K.“-Figur, ohne sie wirklich zu fassen zu kriegen und die interessante Ausgangsthese der jüdischen Prägung konsequent zu verfolgen.
Mit Sprachtrainings lernte das Ensemble eigens die Aussprache jiddischer und hebräischer Passagen, die entweder auf Deutsch übertitelt oder von Mitspielern übersetzt werden. Ein enormer Aufwand für einen Musiktheater-Abend, der leider nicht den Sog entfalten kann wie Koskys Großtaten an seiner einstigen, derzeit renovierten Wirkungsstätte wenige hundert Meter weiter.
Bilder: Jörg Brüggemann