Prozess

Zum Kafka-Jahr inszeniert Oliver Frljić das Roman-Fragment „Prozess“. Überraschend konventionell ist der Zugriff des kroatischen Regisseurs diesmal, der sich mit Provokationen einen Namen machte und zuletzt für seinen Holzhammer-Stil arg kritisiert wurde. Nichts davon ist an diesem schönen Spätsommertag zu spüren. Der beige-graue Einheits-Look, den die beiden Kostüm-Bildnerinnen Jelena Miletić und Janja Valjarević für das Sextett auf der Bühne entworfen haben, könnte auch aus einer der vielen anderen Kafka-Adaptionen stammen, die jahrein, jahraus auf Stadttheater-Bühnen zu sehen sind.

Auch sonst ist der Regie-Zugriff von Frljić nicht sehr originell. Sein Josef K. wird von einem Spieler verkörpert: Edgar Eckert, den das Berliner Publikum von Uli Khuons DT kennt, wo er von 2015-2020 in vielen meist kleineren Rollen zu erleben war. An diesem Premieren-Abend gab er seinen Einstand im Gorki-Ensemble.

Die restlichen Figuren aus dem Roman teilen sich die fünf anderen Spieler*innen: Marc Benner (frisch von der HfS Ernst Busch), die drei Gorki-Stammkräfte Yanina Cerón, Lea Draeger und Çiğdem Teke sowie als Gast Christiane Paul, die Ende der 1990er Jahre ein Star im deutschen Kino war und zuletzt vor allem in TV-Serien auftrat.

Ihre Aufgabe ist es, in einer Slapstick-Choreographie, die mit der Italienerin Evelin Facchini entwickelt wurde, die Hauptfigur und die Justitia-Statue zu umkreisen. Frljićs Ansatz betont eine Facette von Kafkas Werk: die absurde Komik, die in vielen Szenen des „Prozess“ durchschimmert, rückt dieser Gorki-Abend in den Mittelpunkt.

Dieser Ansatz ist valide, aber nicht sehr überraschend: in der Literaturwissenschaft wird seit Jahrzehnten über die Interpretation von Kafkas Werk gestritten. Manche Exegeten betonen statt der traditionellen Sichtweise auf den Apparat, der das Individuum zermalmt, diese groteske Komik der Miniaturen und stützen sich dabei auf Berichte, dass Kafka und seine Zuhörer oft laut lachen mussten, als er damals aus den unveröffentlichten Manuskripten las.

Bevor der Abend mit der Türsteher-Parabel aus dem Dom-Kapitel des Romans endet, erlaubt sich Frljić noch eine kleine Volte: Statt Josef K. sitzt in einer kurzen Szene plötzlich Franz Kafka, gespielt von Lea Draeger im erwähnten Einheits-Look, auf der Anklage-Bank des Gerichts und muss sich dafür rechtfertigen, mit seinem Roman die Existenz des geheimnisvollen Justizapparats verraten zu haben.

Eine sehr klare Entscheidung traf dieser Abend, der eine Facette überbetont und damit zwangsläufig alle weiteren Aspekte des vielschichtigen Kafka-Werks, das diesen Autor so lesenswert macht, in den Hintergrund rückt. Aber vielleicht weckt dieser leichtgewichtige Jubiläums-Jahr-Abend beim ein oder anderen das Interesse an Kafka. Neben den Original-Texten bietet sich dann auch ein Besuch bei einer anderen Frljić-Inszenierung an, die noch im Gorki-Repertoire läuft: 2019 überzeugte der damalige Ensemble-Jungstar Jonas Dassler mit einem tollen Auftritt im „Bericht für eine Akademie“.

Bilder: Ute Langkafel MAIFOTO

 

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