Vor zwei Jahren war „The Bride and the Goodnight Cinderella“ der Brasilianerin Carolina Bianchi ein Festivalhit der Saison. Für Aufsehen sorgte damals vor allem, dass sie sich selbst K.o.-Tropfen einflösste, mit denen Sexualstraftäter ihre Opfer wehrlos machen.
Zwei Jahre später folgt der zweite Teil ihrer „Cadela Força Trilogy“ (auf Deutsch am ehesten mit Schlampen-Power zu übersetzen), die als Festival-Koproduktion durch Europa tourt. Nach der Brüsseler Premiere beim Kunstenfestivaldesarts lief „The Brotherhood“ u.a. schon bei den Wiener Festwochen und beim Kampnagel Sommerfestival, bevor es an diesem Wochenende im HAU 1 Station machte.
Fast vier Stunden knallt Bianchi ihrem überwiegend jungen Publikum vor den Kopf, wie toxisch der Kulturbetrieb ist. „The Brotherhood“ ist über weite Strecken Frontaltheater. Die Recherche-Partnerin Carolina Mendonça wird in den Credits an prominenter Stelle erwähnt und hat zu einem Text-Konvolut beigetragen, das sich tief in Missbrauchsfälle im Kunst- und Kulturbetrieb eingräbt. Vom Wiener Aktionisten und Sexualstraftäter Otto Mühl über die Vorwürfe gegen Jan Fabre bis zum Skandal um Rammstein-Backstage-Partys wird hier jede Menge Material aufgetürmt, das die Bruderschaft von sieben Männern an einer langen Abendmahls-Tafel verliest.
Im ersten Teil wird ein besonders narzisstischer Regisseur vorgeführt, der sich im Interview mit Bianchi in seinem Regie-Kult sonnt und die #metoo-Vorwürfe damit kleinredet, dass die erotische Verführung für die Arbeit im Theater elementar sei. Kai Wido Meyer spielt diese fiktive Figur Klaus Haas, die Charakterzüge vieler Großregisseure und Festival-Impressarios trägt und an einer Stelle wörtlich Frank Castorfs Bonmot über den Frauenfußball übernimmt.
„The Brotherhood“ ist Frontal-Theater, das sich gar nicht erst die Mühe macht, ein theaterferneres Publikum abzuholen. Nach postdramatischen Mätzchen mit drei oder vier Prologen wird der Vorlesungsstoff erbarmungslos abgespult. Dennoch gab es viel Begeisterung beim jungen Publikum, das offensichtlich zu großen Teilen aus dem Kulturbetrieb und der Theaterwissenschaft stammt.
Bilder: Mayra Azzi