Gregor Gysi auch nach dem Rückzug aus der ersten Reihe omnipräsent
Es ist knapp einen Monat her, dass sich Gregor Gysi aus der ersten Reihe der Politik zurückgezogen hat. Statt Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag ist er künftig nur noch stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Sein Terminkalender ist trotzdem proppenvoll wie eh und je. Zwischen der Laudatio auf Till Schweiger bei der Bambi-Verleihung, einem Gespräch mit dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales und einer CD-Aufnahme für Prokofjews „Peter und der Wolf“ gibt es kaum noch Lücken.
Auf den Berliner Theaterbühnen war Gysi, der Workaholic mit Entertainer-Qualitäten, an diesem Wochenende gleich zwei Mal zu Gast. Am Freitag Abend sprach er mit Stephan Hebel über das Buch „Ausstieg links? – Eine Bilanz“, das sie gemeinsam vor kurzem im Frankfurter Westend Verlag herausgegeben haben.
Gysi präsentierte sich in dem einstündigen Gespräch auf der Probebühne des Berliner Ensembles sehr nachdenklich. Seiner Analyse, dass die Welt derzeit aus den Fugen scheint und sich zu viele frei flottierende Kräfte bekriegen, kann man kaum widersprechen. Auch Gysi hatte natürlich an diesem Abend nicht den „Stein der Weisen“ anzubieten, wie diese Probleme schnell gelöst werden könnten.
Er warnte davor, dass wir in eine unbeherrschbare Situation hineingeraten, falls es uns nicht bald gelinge, die Fluchtursachen in Afrika sowie im Nahen und Mittleren Osten mit solidarischen, vernünftigen Konzepten anzugehen. Zum aktuellen Koalitionsstreit über die Flüchtlingspolitik ließ Gysi einige pointierte Bemerkungen fallen: Seehofer mache mit seinen scharfen Tönen letztlich Wahlkampf für die AfD. Seine Versuche, der neuen Partei das Wasser abzugraben, fruchteten bislang nicht. Im Gegenteil: Nur im Osten habe die AfD zuletzt noch stärker zugelegt als in Bayern. Merkel stehe derzeit zwar gewaltig unter Druck, überrasche ihn aber mit ihren Über-Nacht-Entscheidungen (AKW-Ausstieg nach Fukushima, Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik) immer wieder.
Auch wenn es wenig wirklich Neues gab, waren die leiseren Zwischentöne interessant, vor allem, wie deutlich er sich namentlich erneut von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht abgrenzte: Anschaulich erinnerte er sich noch mal an die Zeit vor dem Göttinger Parteitag im Juni 2012, als er das Gefühl hatte, dass zwei Züge auf ihn als Zentristen der Fraktion zurasten. Einleuchtend analysierte die kulturellen Unterschiede zwischen West-Linken, die häufig in K-Gruppen oder Protestbewegungen sozialisiert sind und sich seit Jahrzehnten bewusst in scharfer Opposition zum Establishment sehen, und den ostdeutschen Reformen aus der ehemaligen Staatspartei, die sich nach gesellschaftlicher Anerkennung sehnen.
Zwei Tage später diskutierte Gregor Gysi in den Kammerspielen des Deutschen Theaters mit Wolfgang Schorlau über seinen gerade erschienen neunten Dengler-Krimi. In „Die schützende Hand“ macht sich der Stuttgarter Privatermittler Georg Dengler auf die Spur der NSU-Mordserie.
Gysi und Dengler deklinieren all die Ungereimtheiten durch, die in den vergangenen vier Jahren seit dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in diversen Untersuchungsausschüssen, zahlreichen Features und Zeitungsberichten, auf Theaterbühnen und natürlich auch im Münchner Gerichtssaal zu einem Puzzle zusammengesetzt werden sollten – leider bislang vergeblich. Wir stochern weiter im Nebel, der den gesamten NSU-Komplex umgibt.
Die Geschichten über geschredderte Akten zu Karnevalsbeginn am 11.11. im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz, die großzügige finanzielle Unterstützung des Verfassungsschutzes für fragwürdige V-Männer wie Tino Brandt, das bis heute ungeklärte Auftauchen eines hessischen Verfassungsschutz-Mitarbeiters an einem Tatort (in einem Internet-Café in Kassel) sind alle nicht neu, aber so haarsträubend, dass sie immer wieder Kopfschütteln im Publikum und Entsetzen auslösen.
Die Matinee endete mit vorsichtigem Optimismus: die Widersprüche sind so eklatant, dass sich alle Fraktionen in der vergangenen Woche einig waren, einen weiteren Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags zur NSU-Mordserie einzusetzen. Es bleibt die vage Hoffnung, dass dieses Gremium die dringend notwendigen Fortschritte bei der Aufklärung des rechtsextremistischen Terrors erreichen kann.
31. interfilm-Festival: Fundgrube für Kurzfilm-Raritäten
Das interfilm-Festival erwies sich auch in diesem Jahr wieder als Fundgrube für kleine Kurzfilm-Kostbarkeiten, die quer über die Programme und die verschiedenen Kinosäle der Stadt verstreut waren.
Ein kleines Highlight waren die „Best of Berlin Beats“: eine bunte Mischung aus ästhetischen Experimenten wie „Little Big Berlin“ (Hauptstadtansichten im Miniaturformat), anarchischem Humor wie „Trotzdem Danke“ (wie reagieren BVG- und S-Bahnfahrer, wenn plötzlich ein Scheibenwischer-Putztrupp unangemeldet auftaucht?), dokumentarischen Einblicken wie „Aleyna – Little Miss Neukölln“ (ein übergewichtiges, in der Schule verspottetes, türkisches Mädchen verwirklicht sich den Traum, bei einer Gala im tipi am Kanzleramt zu tanzen) oder Nachwuchsrapper mit „Meine Stadt“. Die elf Filme, die unter diesem Dach gebündelt wurden, stammen aus den Jahren 2004 bis 2011 und spiegeln den Wandel einer Stadt, die nicht nur arm ist, sondern auch für Touristen sexy wird.
Bemerkenswert war auch die spanische queere Splatterfilm-Parodie „Pulsión Sangrienta“ über eine Familie, die auf eine lange Ahnenreihe aus Frauenmördern zurückblickt. Diese Vorführung im Roten Salon litt jedoch etwas darunter, dass der Saal zwar sehr gut für Konzerte und Partys genutzt werden kann ist, aber mangels geeigneter Kinobestuhlung die Untertitel nur schwer zu sehen und zu lesen waren.
Schorsch Kamerun und Fabian Hinrichs am HAU: René Pollesch fehlte
Nach einer halben Stunde fällt die Tür krachend zu, die ersten Zuschauer gehen genervt. Die anderen rätseln noch, worauf sie sich bei dieser Performance „Ich habe um Hilfe gerufen. Es kamen Tierschreie zurück“ eingelassen haben. Als Fabian Hinrichs und Schorsch Kamerun gemeinsam mit PC Nackt musizieren, ist das zwar ein sympathischer Einstieg und eine Viertelstunde hört man auch gern zu. Schön wäre es allerdings, wenn die Texte auch so artikuliert werden, dass sie verstanden werden können.
Mit der Textverständlichkeit wird es zwar etwas besser, sonst hat sich aber auch nach vierzig Minuten nichts geändert.
Der Abend ist schon halb vorbei, als seine beiden Kumpels verschwinden und sich Fabian Hinrichs kurz hinter der Palme am Bühnenrand umzieht. Im Taucheranzug tigert er über die Bühne und bietet einen Monolog, der unentschieden irgendwo zwischen schlechter Kopie und Parodie seines „Keiner findet sich schön“-Solos an der Volksbühne pendelt.
Zwischendurch tritt dann auch noch eine Tanzgruppe aus Minsk in einer nicht näher definierbaren Landestracht auf und Hinrichs setzt seinen Monolog in einem Elektro-Auto fort. An diesem Abend, an dem ohnehin nichts zueinander passt, stören auch solche Merkwürdigkeiten nicht weiter.
Das Ganze war unter dem Festival-Titel „Marx´ Gespenster“ angekündigt und gefühlte fünf Minuten geht es in dem Monolog nach dem Konzert auch um Vergesellschaftung und „Produktionsidioten“. So unvermittelt wie dieser Themenstrang angerissen wurde, versandet er auch schon wieder. Hinrichs gibt stattdessen einen kurzen Abriss über die Architektur des Jugendstils im Allgemeinen und des Hebbeltheaters.
Fabian Hinrichs fällt es immer schwerer, sich das Grinsen über diese albernen, aneinandergestückelten Textbausteine zu verkneifen. Mehrmals muss er sich von der Souffleuse helfen lassen. Da ihm partout nicht mehr einfallen will, dass er angeblich ein Fan von Genesis von Phil Collins sei, entschuldigt sich Hinrichs mit kokettem Augenaufschlag: „Ja, das kommt eben nicht von Herzen.“ Mit Sicherheit nicht. Aber das gilt dann wohl auch für diesen ganzen Abend, der lieber im Probenraum einer Hobbycombo geblieben wäre, in den sich Esther Slevogt versetzt fühlte.