Bonnie ohne Kleid

In manchen Bundesländern werden die Theatersäle mit dem nötigen Abstand trotz Aerosol-Warnungen wieder bespielt. Berlins Kultursenator Klaus Lederer ist vorsichtiger und erlaubte bis zum Ende der Spielzeit nur Open-Air-Veranstaltungen, die mit den Wetter-Kapriolen dieses wechselhaften Monats zu kämpfen haben.

Am 10. Juni stiegen das Deutsche Theater Berlin und das Berliner Ensemble in die kurze Open-Air-Testphase ein: Das DT zeigte eine Freiluft-Version des Monologs „Die Pest“, den Bozidar Kocevski mit Regisseur András Dömötör im November 2019 in der dunklen, engen Box einstudiert hat. Das BE stellte unter dem Titel „Hof-Theater“ ein vielfältiges Programm kurzer Appetithäppchen zusammen: Oft handelt es sich um kurze, zum Teil neu arrangierte Ausschnitte aus Repertoire-Inszenierungen wie Stefanie Reinspergers „Baal“ oder um Corona-taugliche Soli wie das kleine Brecht-Solo „Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner“.

Zwei Mal stand der Liederabend „Bonnie ohne Kleid“ auf dem Programm, den Sina Martens, Nachwuchsschauspielerin des Jahres 2017, gemeinsam mit dem Musiker Sascha Hünermund bereits während ihres Studiums in Leipzig einstudiert und auf der Baustelle des dortigen Schauspiels präsentiert hat.

Am vergangenen Wochenende hatte Sina Martens Glück: für ihre Hoftheater-Premiere mit „Bonnie ohne Kleid“ erwischte sie schönstes Sommerwetter, das ideale Ambiente für einen unterhaltsamen, leichten Liederabend. Für den heutigen Freitag wurde eine Regenwahrscheinlichkeit von 90 % vorhergesagt, aber trotz dunkler Wolken blieb es bis auf ein paar Tropfen kurz vor der Zugabe trocken.

Gerade die herbstliche Stimmung mit kühlem Wind, der zwischen den mit deutlichem Abstand platzierten Stuhlreihen fegte, und den düsteren Wolken passte erstaunlich gut zur melancholischen Liederauswahl von Sina Martens. Ihre Chansons drehten sich häufig um unerfüllte Sehnsucht, Abschiede und das Ende des Sommers. Ganz in Schwarz gekleidet führte sie durch den knapp einstündigen Liederabend.

Die einzelnen Stücke wurden durch Gedankensplitter unterbrochen, die u.a. aus dem Fragebogen von Max Frisch stammten, und den nachdenklichen Grundton des Abends verstärkten. Sie schlug einen Bogen von Hildegard Knef bis zu Marlene Dietrich, die leisen Töne dominierten, nur selten gab es humoristischere Beiträge wie Nina Hagens Lamento über den vergessenen Farbfilm auf Hiddensee, der bei keiner BE-Premierenparty fehlen darf.

Bei heißen Temperaturen in der letzten Hoftheater-Woche luden Jonathan Kempf und Jan Bülow zu einem grotesken Trip unter dem Titel „Beletage Volume 2“ ein. Die beiden Schauspieler, die gemeinsam an der HfS Ernst Busch studierten, imaginierten sich in die fiktive Liebesgeschichte von zwei Promis, die einen steilen Karriereknick hinter sich haben: Winona Ryder war ein gefragter Hollywoodstar in den 1990ern, liiert mit Johnny Depp und 2x für einen Oscar nominiert. Als sie 2002 wegen Ladendiebstahls erwischt wurde, war ihre große Zeit vorbei, auch wenn sie zuletzt mit der Netflix-Serie „Stranger Things“ wieder auf sich aufmerksam machte. Noch umstrittener ist ihr Partner: Hans-Georg Maaßen machte sich an der Spitze des Bundesamts für Verfassungsschutz unmöglich, brachte die Koalition mit seinen umstrittenen Äußerungen fast zum Platzen, musste schließlich selbst gehen und geistert als Stichwortgeber der AfD durch den rechten Rand des politischen Diskurs.

Die Idee, aus der unwahrscheinlichen Liebe von Ryder und Maaßen, eine satirische Farce zu machen, hat Charme. Ein hübscher Einfall war auch, dass sich Elisa Plüss als nervige Tante Elly in breitem Schwyzerdütsch einmischt und ihre Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlässt. Aber der 45 Minuten kurze Sommertheater-Abend bleibt zu sehr Skizze, das komische Potenzial des Plots über die Beziehungsprobleme des Paares, das nach Göttingen geht, um dort Physik zu studieren, wird nicht ausgeschöpft.

Das ist schade, weil beide Schauspieler schon ihr komisches Talent bewiesen haben: Jonathan Kempf fiel bei seinem BE-Debüt vor einem Jahr beim „Felix Krull“-Saisonauftakt auf, als er schlecht gelaunt in Waldorf/Statler-Manier vom Balkon nölte. Bekannter ist sein Bühnenpartner Jan Bülow, der gleich nach dem Studium die „Hamlet“-Titelrolle in Zürich übernahm, derzeit am Wiener Burgtheater engagiert ist und kurz vor dem Corona-Lockdown in unseren Kinos als Hauptfigur eines Udo Lindenberg-Biopics zu sehen war.

Bild des BE-Hoftheaters, zu sehen ist allerdings die „Bussi Babaal“-Vorstellung von Stefanie Reinsperger: Moritz Haase

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