Im Mai, als das Theatertreffen ausfallen musste und nur eine virtuelle Schrumpfversion ohne die Highlights „Eine göttliche Komödie“ und „Tanz“ angeboten wurde, war die Lage für die Theater trostlos. In den Diskussionen über Lockerungen spielten sie keine Rolle, eine Wiedereröffnung schien frühestens im Herbst realistisch.
In dieser Situation fasste sich Christian Stückl, der Intendant des Münchner Volkstheaters, ein Herz und einen ungewöhnlichen Entschluss: er verlegte nach Rücksprache mit der Stadt München und dem Betriebsrat die Spielzeit-Pause kurzerhand vor und kündigte einen Sommerspielplan mit fünf kleinen Inszenierungen während der bayerischen Schulferien von Ende Juli bis Anfang September an.
Nach den ersten beiden Inszenierungen, „Die Goldberg-Variationen“ in der Regie des Intendanten und „Das hässliche Universum“ von Sapir Heller, waren die Kritiker*innen positiv überrascht: statt des statischen, blutleeren Corona-Abstandstheaters, das viele für die Zeit nach der Wiedereröffnung bis zum erhofften Impfstoff befürchteten, freuten sich die Rezensent*innen über energiegeladenes, lebendiges Vollgas-Theater.
Am dritten Abend des Sommer-Volkstheaters war davon leider wenig zu spüren. Mirjam Loibl, die am benachbarten Resi als Assistentin von Ivan Panteleev und Frank Castorf erste Erfahrungen gesammelt hat, nahm sich Franz Kafkas kleine Erzählung „Der Bau“ vor. Ein nicht näher bezeichnetes Tier berichtet in diesem Monolog stolz, wie es sich ein unterirdisches Labyrinth anlegte und fleißig Vorräte ansammelte, verstrickt sich dabei aber immer tiefer in Paranoia und Furcht vor Eindringlingen.
In die Mitte der abgedunkelten Bühne wuchtete Thilo Ullrich ein turmartiges Gebilde. Die drei Spieler*innen Pola Jane O´Mara, Steffen Link und Jan Meeno Jürgens kriechen und krabbeln durch die schmalen Gänge und sprechen die Textpassagen abwechselnd oder im Chor. Diese spielerischen Momente live auf der Bühne machen jedoch nur einen Teil der einstündigen Inszenierung aus. Zentrale Passagen werden zum Hörspiel live aus dem Off.
Anders als „Die Goldberg-Variationen“ wurde „Der Bau“ nicht im Garten, sondern passend zum Text im abgedunkelten Saal gespielt. Zur düsteren Stimmung des minimalistischen, spröden Kammerspiels passte, dass sich gemäß den geltenden Abstandsregeln nur ein kleines Häuflein in der dunklen Theater-Höhle verlor. Obwohl das Volkstheater mit seinen frischen Stoffen und seinem überdurchschnittlich jungen Ensemble üblicherweise auch eher ein junges Publikum anzieht, dominierte diesmal die Risikogruppe der Generation 60 plus. Sie untermalten das Kafka-Hörspiel mit ihrem Husten und verteilten ihre Aerosole großzügig: Keine guten Aussichten für den Herbst.
Bilder: Arno Declair