Wir Normalsterblichen dürfen uns das Leben von Maren Eggert aufregend und abwechslungsreich, aber immer majestätisch und glamourös vorstellen: Eben noch wurde sie zur Königin der Sommer-Berlinale gekrönt, wenige Tage später herrscht sie nun als geduldige, aber strenge Göttin Gaia über einen sichtlich unaufgeräumten Innenhof des Deutschen Theaters Berlin. Ganz in Weiß gekleidet beweist sie auch an diesem drückend heißen Sommerabend Stil und Grazie, obwohl ihr die Titanen-Kinder auf der Nase herumtanzen: Sarah Maria Grünig (derzeit noch Studentin an der HfS Ernst Busch), Lorena Handschin, die heute Abend den Part von Eli Riccardi (ebenfalls noch Ernst Busch-Studentin), Lisa Hrdina und Alexander Khuon springen und grimassieren zwischen umgekippter Mülltonne und Baumaterialien herum. Das Quartett turnt durch knapp 30 Rollen des griechischen Göttinnen-Universums, über dem Urmutter Gaia thront.
An ihrer Seite hat sie einen Conferéncier im Horst Schlämmer-Gedichtnis-Look (Harald Baumgartner), der ihr Stichworte für den nächsten Auftritt zuruft. Ebenso geduldig, wie sie die über die Stränge schlagende Jugend in die Schranken weist, erklärt sie auch uns Unwissenden, wie sie die Welt geschafft hat. Aber nun ist sie einfach müde und groggy.
Nele Stuhler, die gemeinam mit Falk Rößler auch das Duo FUX bildet und beispielsweise im HAU unterwegs ist, spielt in ihrem Text „Gaia googelt nicht“ mit Kalauern, feministischen Sprachspielen, Persiflagen auf den Ödipus-Mythos oder Kastrations-Kettensägen-Slapstick. Maren Eggert ist der ruhende Pol in diesem Chaos, ihre wichtigste Gegenspielerin zu Beginn ist Lisa Hrdina, die Expertin für überdrehte Comedy-Auftritte im Ensemble des Deutschen Theaters Berlin. Leider wahrt Eggert jedoch zu wenig Distanz zu den oft albernen Gags des „Gaia googelt nicht“-Sommertheaters. Anders als in ihrer mit dem Silbernen Bären ausgezeichneten Rolle der Archäologin Alma in Maria Schraders Androiden-Komödie „Ich bin Dein Mensch“ lässt sich Eggerts Göttin zu sehr in die Späße hineinziehen. Die lakonische Überlegenheit, mit der Eggert im Kino Sandra Hüller als Marketingfrau der Tech-Firma und ihren Androiden-Lover auflaufen ließ, hätte auch der Uraufführungs-Inszenierung von Sarah Kurze sehr gut getan.
Ohne diesen erhofften, stärkeren Kontrapunkt von Eggertschem Ernst und Strenge plätschert der Text von Nele Stuhler doch zu flach-witzelnd dahin. Warum Gaia nicht googelt, wird in diesen 90 Minuten nicht klar, aber die aktuelle Fassung ist die 3. Stufe eines Work in Progress. Bereits bei den Autorentheatertagen von 2019 und 2020 wurden Gaia-Texte von Nele Stuhler als szenische Lesungen präsentiert. Regie führte auch damals Sarah Kurze, die zwei Jahre lang als Regieassistentin am DT Berlin beschäftigt war und gegen Ende des ersten Corona-Lockdowns den Live-Stream „Die härteste Tochter Deutschlands“ entwickelte. Es spricht für Ulrich Khuon und das Deutsche Theater Berlin, dass sie Autorinnen mit langem Atem fördern. Seltsam ist allerdings, dass das DT mit dem „Gaia“-Projekt auf ein schwächeres Pferd setzt: bei der dreitägigen Werkschau von zehn aktuellen Texten Anfang Oktober blieb Stuhlers Gaia-Text deutlich hinter anderen Beiträgen zurück, nicht nur hinter Elfriede Jelineks Corona-Fragment „Blindes Sehen“, das sie zum kürzlich am Hamburger Schauspielhaus uraufgeführten „Lärm. Blindes Sehen. Blinde Sehen“ ausbaute, sondern auch hinter Martina Clavadetschers Schneewittchen-Chor „Der Glassarg ist doch auch bloß ein öffentliches Bett“ oder Milena Michaleks „Das hier (Anrufungen aus der ideologischen Moderne)“, die wesentlich facettenreicher waren als Stuhlers kalauernde Mythen-Spielereien.
Doch Maren Eggert überstand auch die Unbillen seichterer Textstellen unbeirrt und blieb der sichere Anker in dem turbulenten Treiben. Nicht einmal der Wettergott wagte es, Maren Eggerts Auftritt nachhaltig zu stören. Die Gewitterfront, die sich am frühen Abend tiefschwarz über Berlin zusammenbraute, zog ab und hinterließ nur ein paar erfrischende Tröpfchen.
Am Ende wagte es nur einer, Maren Eggert den Fehdehandschuh hinzuwerfen: Alexander Khuon, Sohn des Intendanten und als Zeus auch Enkel von Gaia, erklärte ihr den Krieg, putschte die matriarchale Ordnung hinweg und setzte die patriarcharale Gewaltspirale in Gang, die wir sie aus den letzten Jahrtausenden kennen.
Bilder: Arno Declair