Elfriede Jelinek

Einen guten Einstieg in das Werk und die Gedankenwelt der Literaturnobelpreisträgerin bietet die Collage von Claudia Müller, die BR und arte koproduziert haben. Seit Jahren, fast schon Jahrzehnten hat sie sich wegen einer generalisierten Angststörung und nach vielen Schlammschlachten aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Künstlerisch ist sie allerdings so produktiv wie eh und je. Auf die Zeitdiagnosen „Am Königsweg„, „Schwarzwasser“ und „Lärm. Blindes Sehen. Blinde Sehen!“, mit denen sie Donald Trump, die Ibiza-Affäre und die Corona-Pandemie begleitete, folgt schon im Dezember die nächste Uraufführung: „Angabe der Person“ am Deutschen Theater Berlin.

Das Schöne an dieser Doku-Collage ist, dass sie mit vielen Archiv-Aufnahmen einer kämpferischen, jungen Frau gespickt ist, die über das schwierige Verhältnis zu ihrer Mutter und zu ihrer Heimat Österreich, insbesondere über die Verstrickung der verehrten Burgtheater-Stars wie Paula Wessely/Attila Hörbiger in Nazi-Propagandafilme reflektiert. Vor allem in den 1990er Jahren wurden die Angriffe gegen sie immer schärfer, FPÖ-Frontmann Jörg Haider polemisierte auf Wahlplakaten gegen sie. Kurz bevor seine Partei in Österreich erstmals in die Regierung gewählt wurde und Claus Peymann als Burgtheater-Intendant abtrat, trumpfte 1998 Einar Schleef als kongenialer Uraufführungs-Regisseur ihres „Sportstücks“ auf. Sie hätte sich gewünscht, dass er für sie zu einem so engen Partner wird wie es Peymann für Thomas Bernhard war. Auch für die Theaterwelt wäre das ein Gewinn gewesen, aber es sollte nicht sein. Sie überwarfen sich im Streit, ob es sinnvoll ist, trotz der damaligen rechtspopulistischen Regierung weiter in Wien zu inszenieren, wenige Jahre danach starb Schleef im Sommer 2001.

Außer den reflektierenden O-Tönen der Schriftstellerin gibt es noch sehr viele Schnipsel, die meist aus ihren Romanen stammen und den typischen Jelinek-Sound transportieren. Aus dem Off trägt eine Crème de la Crème der Theater- und TV-Prominenz (Sophie Rois, Stefanie Reinsperger, Sandra Hüller, Maren Kroymann, Ilse Ritter, Martin Wuttke) die Passagen vor, erst im Abspann sind auch ihre Gesichter zu sehen. Sicher: Im Mittelpunkt des Films sollte Jelinek stehen, aber die geballte Prominenz wirkt doch ziemlich verschenkt, wenn sie nur Textschnipsel einlesen darf.

„Die Sprache von der Leine lassen“ lautet der Untertitel des Features, das beim Filmfest München im Juli Premiere hatte, als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde und im November in die Kinos kam. Jelineks sprachliche Kraft wird in den knapp 90 Minuten spürbar: in den Archiv-O-Tönen fast noch mehr als in den von Dritten eingelesenen Passagen. Dazu schwenkt die Kamera über Berg-Kulissen oder zeigt die schlimmsten Auswüchse aus Ischgl: die Bebilderung bleibt recht konventionell und für das TV-Publikum tauglich. Ein echter Bilder- oder Sprachrausch stellt sich nicht ein. Das Jelinek-Porträt bleibt an der Leine der TV-Redaktionen und der gewohnten Ästhetik von Biopic-Collagen und Features.

Im Mai 2023 gewann das Elfriede Jelinek eine Lola für den besten Dokumentarfilm.

Bild: Plan C

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