Sardanapal

Fabian Hinrichs fährt bei seiner Volksbühnen-Premiere sehr viel auf: Tänzer*innen des Friedrichstadt Palasts, mit denen er schon 2018 gemeinsam eine Revue konzipierte, die Breakdancer*innen der Kreuzberger Flying Steps Academy, die im vergangenen Jahr seinen „Geht es dir gut?“-Abend bereicherten, für musikalische Untermalung sorgen das Jugendsinfonieorchester Berlin am Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium, der Jazz-Saxofonist Preda Bâzga und natürlich Volksbühnen-Urgestein Sir Henry am Klavier.

Die erste Stunde entwickelt sich zu einer Nummernrevue kleiner Talentproben, die allerdings nicht mal lose verbunden sind. Hinrichs und seine Tänzer*innen unterhalten mit nostalgischen Popsongs der 1990er und 2000er Jahre, Lilith Stangenberg nimmt in einem Sketch an der REWE-Supermarktkasse Platz und träumt sich aus München an den Sandstrand. Dazu wälzt sie sich in einem kleinen Sandhäufchen, das herangekarrt wurde.

So weit, so belanglos und leidlich amüsant. Mit Lord Byron und seinem Drama „Sardanapal“ hat dies nichts zu tun. In der zweiten Stunde stürzen sich Hinrichs und Stangenberg in pathostriefendem Overacting in Szenen aus dem fast vergessenen Drama, das Simon Strauß vor einigen Jahren für seine FAZ-Reihe „Spielplanänderung“ ausgrub. In diesem Feuilleton veröffentlichte Hinrichs auch einen langen, sehr lesenswerten Essay, warum ihn dieser Stoff so sehr fasziniert. Doch an diesem Abend ist wenig davon zu spüren: Die Tänzer*innen umkreisen dieses Star-Duo in elfenartigen Gewändern in merkwürdigen Ausdruckstanz-Choreographien, dazwischen gibt es etwas Akrobatik und ein paar Assoziationen zu den Byron-Bruchstücken.

Tiefpunkt dieser zweiten Hälfte ist, dass Hinrichs mit dem Textbuch durch den Abend stolpern muss. Benny Claessens war wenige Tage zuvor abgesprungen. Die Ansage der Dramaturgin Anna Heesen, bevor sich der Vorhang hob, klang nach bedauerlichem Krankheitsfall, Ulrich Seidlers wenige Stunden vor der Premiere in der Berliner Zeitung veröffentlichte Recherche berichtete von einem Eklat zwischen Claessens und Hinrichs. Viel spricht für den Wahrheitsgehalt dieser Version, denn dieser zweite Teil wirkt tatsächlich so unbeholfen und noch so weit von Premierenreife entfernt, dass es nicht verwunderlich wäre, wenn Claessens hier aus Verzweiflung die Notbremse gezogen hätte.

Vielleicht werden wir in den nächsten Tagen noch mehr über die Hintergründe dieses denk- und merkwürdigen Abends erfahren?

Der skurrile Abend schaffte es auf die Shortlist der Theatertreffen-Jury 2024, war aber offensichtlich zu leichtgewichtig für die 10er Auswahl.

Bilder: Apollonia T. Bitzan

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