In Memory of Doris Bither

Bis heute ist der Fall von Doris Bither ungeklärt. Die alleinerziehende Mutter von vier Kindern schaltete im Kalifornien der 1970er Jahre die Behörden ein, weil sie von einer „Invisible Entity“ vergewaltigt worden sei. Lange Befragungen und Prozeduren änderten ohne Ergebnis. Über den Fall erschien jedoch ein Buch und Anfang der 1980er Jahre ein typisches Exploitation-B-Movie: „The Entity – Es gibt kein Entrinnen vor dem Unsichtbaren“ lautete der reißerische Verleih-Titel. Nach Augenzeugen-Berichten handelt es sich um einen Mix aus Slasher-, Horror- und Mystery-Film, der ein Fest für Genre-Fans, aber außerhalb dieser Kreise heute weitgehend vergessen ist.

Die junge Regisseurin Yana Thönnes, die mit „Spitzenreiterinnen“ im Marstall des Münchner Residenztheaters auffiel und mit dieser Stückentwicklung erstmals im Studio der Schaubühne inszeniert, hat sich vorgenommen, Doris Bither ihre Geschichte zurückzugeben. Sie habe das „Copyright“ daran verloren, lautet ein zentraler Satz auf dem schmalen Ankündigungszettel.

Ein Sohn, eine Nachbarin und eine Kinderschauspielerin machen sich gemeinsam auf die Suche und wechseln zwischen den Ebenen hin und her. Für so eine kleine, nur 65 Minuten kurze Studio-Debüt-Arbeit ist die Besetzung ziemlich prominent. Neben Schaubühnen-Ensemble-Mitglied Ruth Rosenfeld, die ihr musikalisches Talent diesmal nicht zeigen darf, erleben wir Heinrich Horwitz (nonbinär, durch einen Konflikt über Misgendern mit Gesine Schwan und „Act out“ über die Theaterszene hinaus bekannt geworden, sonst vor allem in der Freien Szene aktiv) und Kate Strong, die oft schon in Produktionen von Karin Henkel oder Ersan Mondtag zu sehen war.

In einem mit Übertiteln versehenen Sprach-Mix aus Deutsch und Englisch wird anfangs mehr gesprochen als performt. Als sich dies ändert, werden häufig Klischees produziert: Horwitz als Kind mit riesigem Teddy, Rosenfeld mit gespreizten Beinen an ihrer Strumpfhose nestelnd, Kate Strong geistert zombiehaft durch die rosa ausgestatteten Zimmer des Glaskasten-Bungalows von Katharina Pia Schütz oder alle drei traumatisiert und mit offenem Mund sich am Boden wälzend. Das Hintergrundrauschen bildet der monotone, nervenzehrende Suspense-Score des Finnen Ville Halmala.

Die Auseinandersetzung mit einer Vergewaltigung und die Frage, ob die anschließenden Prozeduren und Befragungen alles nicht nur schlimmer machen, hat Édouard Louis in seinem von autobiographischen Erfahrungen geprägten Roman Im Herzen der Gewalt verhandelt. Intendant Thomas Ostermeier machte ein paar Meter weiter in den großen Sälen der Schaubühne die künstlerisch interessantere Arbeit, die nach mehreren Gastspielen weiter im Repertoire ist.

Überraschend schaffte es diese kleine Arbeit auch auf die Shortlist der Theatertreffen-Jury 2024, war aber doch zu leichtgewichtig für die 10er Auswahl. Die Schaubühne war jedoch ohnehin mit 2 Einladungen („The Silence“ und „Bucket List„) große Gewinnerin des Jahrgangs.

Bild: Philipp Frowein

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