Mein süßes Lieb

Unter dem Label „Prater Studios“ versammelt die Volksbühne seit der vergangenen Zeit kleinere, experimentelle Arbeiten, die oft in Zusammenarbeit mit der Freien Szene entstehen.

In „Mein süßes Lieb“ nahm sich Regisseur Tilman Hecker gemeinsam mit Männer-Minne, einem schwulen Berliner Männer-Chor, Volksbühnen-Urgestein Sir Henry am Klavier, der erfahrenen Chorprojekt-Spielerin Christine Groß und den Performer*inen Perra  Inmunda und Meo Wulf, die das Publikum schon aus der jüngsten Sibylle Berg-Uraufführung Es kann doch nur noch besser werden am Berliner Ensemble kennt, eine Text-und Musikcollage zum Thema AIDS vor.

Woher die Titel-Zeile stammt, dürfte noch einigen bekannt sein: Heinrich Heines gleichnamiges Gedicht rahmt den Abend. Anfangs trägt es Christine Groß alleine vor, während sie einsam durch die Katakomben am Rosa Luxemburg-Platz Richtung Bühne kommt, zum Schluss spricht es das gesamte Ensemble des Abends gemeinsam. Dazwischen kreist „Mein süßes Lieb“ um viele zeithistorische Texte aus den 1970ern, 1980er und 1990ern, Lecture-Schnipsel über die Anfänge der Lesben- und Schwulenbewegung und ihre Konflikte in West-Berlin wechseln sich mit Berichten aus einem Schwabinger Krankenhaus kurz nach den ersten HIV-Diagnosen, die aus Ronald M. Schernikaus Feder stammen dürften, und einer lippensynchron nachgesprochenen Rede der damaligen Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit Rita Süssmuth über die wichtige Arbeit der Aids-Hilfe.

Recht viele Puzzle-Teile stammen aus der noch unveröffentlichten Übersetzung des Buchs „The Gentrification of the Mind“ der New Yorker Historikerin und Act up-Aktivistin Sarah Schulman, das 2012 erschien. Worauf dieser Abend hinaus will und welche Verbindungslinien Tilman Hecker und sein Team zwischen Gentrifizierung und AIDS ziehen möchten, lässt sich nach der Lektüre der interessanten, begleitenden Essays im Programmheft erahnen.

Der knapp 80minütige Abend kommt aber nicht über eine Aneinanderreihung oft recht erwartbarer, historischer Texte zur Früh- und Hochphase der AIDS-Epidemie hinaus. Ein Manko der Inszenierung ist, dass das herausfordernde chorische Sprechen vor allem in der ersten Hälfte oft nur recht holprig gelingt und die Souffleuse auch bei Soli unterstützen muss.

So bleibt am Ende dieser „Mein süßes Lieb“-Uraufführung der Eindruck, dass sich die Volksbühne zwar eines wichtigen Themas annimmt und thematisch auch den Bogen zu Ronald M. Schernikaus legende aus Klaus Dörrs Interims-Intendanz schlägt, aber die Inszenierung bei einer Collage und Textsammlung stehen bleibt. Obwohl dem Programmheft bereits eine tiefere Auseinandersetzung des künstlerischen Teams anzumerken ist, ist zu wenig an interessanten Bezügen und Querverbindungen in die Bühnenfassung eingeflossen.

Bild: Apollonia T. Bitzan

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