Ursonate

Ein steiniger Weg war es bis zu Claudia Bauers „Ursonate“: Krankheitsbedingt musste die Premiere, die für Mitte November geplant war, um mehrere Wochen verschoben war. Da der neue Termin mitten in die Hochphase mehrerer Viren-Wellen fiel, die kurz vor Weihnachten grassierten, musste ich meinen Besuch um einen weiteren Monat verschieben. Beinahe wäre auch dieser Termin ausgefallen: Mathilda Switala, eine der acht singenden Schauspieler*innen dieser dadaistischen Sprechoper musste ihre Stimme schonen und stand heute Abend mit FFP2-Maske auf der Bühne.

Der Großteil der Berliner Kritik war von diesem Abend hingerissen. Zurecht! Regisseurin Claudia Bauer und ihr Komponist Peer Baierlein transformieren die lautmalerischen Vorlagen von Kurt Schwitters in ein beschwingtes Theaterfest, bei dem das achtköpfige Ensemble seiner Spielfreude freien Lauf lassen kann. Vanessa Rust hat an weiße Brautkleider erinnerende Tüllröcke und ausladende Turmfrisuren kreiert. Jeder und jede einzelne von ihnen darf dem Abend seine individuelle Note verpassen: Janek Maudrich, der zu Beginn der Spielzeit vom Münchner Volkstheater nach Berlin wechselte und bisher nur als Nazi-Karikatur in „Baracke“ zu sehen war, beweist ein schier unglaubliches Bewegungstalent und hüpft mit seinem schlaksigen Körper wie ein Gummiball über die Bühne. Moritz Kienemann, der mit dem Dresdner Ensemble 2019 gleich zwei Mal zum Theatertreffen eingeladen war, gibt den sächsischen Wutbürger, der den Aufruhr um den verdächtig Herumstehenden in „Franz Müllers Drahtfrühling“ anzettelt, das an diesem Abend als Prolog zur Ursonate dient. Mareike Beykirch, die es vom Gorki Theater ans Münchner Residenztheater und zu Beginn der Spielzeit zurück nach Berlin zog, staucht in einem „Eke“-Wutanfall den Dirigenten Valentin Wittmann zusammen, der im Graben das tolle Mini-Orchester (Maria Schneider, Lih Qun Wong) führt. Jens Koch und Lenz Moretti waren mit ihren so gegensätzlichen Körpern (massig vs. drahtig-muskulös) schon in „Edward II. Die Liebe bin ich“, einer sehenswerten SM-Variation in der Box, das ungleiche Liebespaar im Zentrum und setzen auch in diesem Oktett markante Gegenpole. Die wunderbare Combo komplettieren: Anita Vulesica, die während Ihres DT-Festengagements von 2010 bis 2018 eine der besten Komödiantinnen der Berliner Theaterlandschaft war, schmerzlich vermisst wurde und in „Ursonate“ einen ihrer seltenen Bühnenauftritte gibt, da sie sich inzwischen mehr auf das Regiefach konzentiert. Vanessa Loibl überzeugt mit toller Stimme, sie war während des Volksbühnen-Intermezzos von Klaus Dörr in dessen Ensemble zu erleben. Last but not least ist noch die eingangs erwähnte Mathilda Switala zu nennen, die sich trotz Krankheit durch den amüsanten Abend kämpfte und Sonderapplaus ihrer Kolleg*innen bekam.

Diesen bunt zusammengewürfelte Cast schweißt Bauer zu einer tollen Formation zusammen. Hinter der Präzision, mit der sie agieren, spielen, singen und tanzen, steckt harte Arbeit, die man diesem sehr unterhaltsamen Abend zum Glück nicht ansieht. Lange gab es im Deutschen Theater nicht so häufig Szenenapplaus. Lange wurde nicht so viel gelacht. 

Mit „Ursonate (Bis das der Tod uns abholt)“ gelingt Iris Laufenberg nach holprigem Start und dem Eröffnungs-Flop Weltall Erde Mensch, der in der dieser Woche abgesetzt wird, ein Triumph bei Kritik und Publikum: Diese Inszenierung von Claudia Bauer löst ein, was die neue Intendantin bei ihrer Antritts-PK als ihre Vorstellung von Theater beschrieb: spielfreudiges, komödiantisches Theater, das in krisenhaften Zeiten und trotz aller Absurditäten unbeirrt am Abgrund tanzt.

Bilder: Eike Walkenhorst

 

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