Der Spatz im Kamin

Die Schweizer Brüder Ramon und Silvan Zürcher haben sich mit ihrem Kino der kleinen Andeutungen einen Namen gemacht. Ihr Debüt „Das merkwürdige Kätzchen“ sorgte im Forum der Berlinale 2013 für Furore, der zweite Film „Das Mädchen und die Spinne“ war eines der raren Highlights der Online-Berlinale 2021.

Drei Jahre später stellten sie in Locarno den Abschluss ihrer „Tier-Trilogie“ vor. Natürlich ist auch „Der Spatz im Kamin“ wieder sehr präzise choreografiert. Hier ist jeder skeptische Blick des hervorragenden Ensembles genau vorgegeben und getimed. Doch etwas Entscheidendes ist anders: in der Wohlstands-Idylle mit Garten, in der Markus (Andreas Döhler) mit der ganzen Verwandtschaft seinen Geburtstag feiern will, brodelt es nicht unter der Oberfläche. Zum Abschluss der Trilogie liegen die Konflikte offen zu Tage. In schonungsloser Direktheit werfen sich die Figuren Kränkungen und Unverschämtheiten an den Kopf und betonen, wie sehr sie sich hassen.

Im Zentrum dieser Horror-Familienaufstellung steht Maren Eggert. Verkniffen und angespannt bereitet Karen, die Frau von Markus alles vor, kommandiert herum und hat für niemand ein nettes Wort. Mit ihrer Eiseskälte stößt sie alle ab: Schwester Jule (Britta Hammelstein), die mit Mann und Kindern ins Elternhaus zurückkehrte, die Töchter Johanna (Lea Zoë Voss) und Christina (Paula Schindler) und erst recht ihren Mann Markus, der eine Affäre mit Nachbarin Liv (Luise Heyer) begonnen hat.

Nach und nach erfahren wir, dass sie das strenge Regiment der verstorbenen Großmutter übernommen hat, die eine lesbische Liebe nur heimlich auslebte. Das ganze Haus ist noch vollgestellt mit ihren Sachen und lässt den nachfolgenden Generationen kaum Raum zum Atmen.

Das erste Lächeln von Maren Eggerts Karen erleben wir, als sie die strenge Frisur gelöst und ein bunteres Sommerkleid angezogen hat. Von Ferne betrachtet sie, wie das Anwesen dieser unglücklichen Familie in einem Flammen-Inferno aufgeht. Schon davor kam es immer wieder zu Gewaltausbrüchen, z.B. als der von seinen Mitschülern gemobbte Sohn Leon (Ilja Bultmann) die Katze in der Waschmaschine zu Tode schleudert.

Nach den subtilen Vorgänger-Filmen ist „Der Spatz im Kamin“ ein Zürcher-Film, in dem ungewohnt bis über die Schmerzgrenze hinaus Klartext gesprochen wird. Stilistisch lässt es sich schwer fassen, Jens Balkenborg sah in der FAZ Anklänge an Ingmar Bergmans Psycho-Dramen und die Noir/Surrealismus-Werke von David Lynch.

Schon gleich nach der Deutschland-Premiere beim Filmfest Hamburg startete „Der Spatz im Kamin“ am heutigen 10. Oktober in den deutschen Kinos.

Bilder: Salzgeber

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