Das Besondere am kirgisischen Gastspiel „Уя (Nest)“ ist das Setting: auf der kleinsten Schaubühnen-Spielstätte am Ku´damm 156 hat Ulla Willis gemeinsam mit dem Produktionsteam die Original-Bühne aus Bischkek angepasst. Von drei Tribünen-Seiten blickt das Publikum auf einen schmalen Wohnungsflur, in dem sich das Geschehen abspielt. Wie durch ein Schlüsselloch sollen wir auf den Alltag in dem zentralasiatischen Land blicken.
Aus dreißig Interviews haben Regisseur Chagaldak Zamirbekov und seine fünf Spieler*innen sechs kleine Geschichten destilliert, die im dokumentarisch-komödiantischen Ton präsentiert werden. Von Islamisten über Ultra-Nationalisten, die gegen die jahrzehntelange, kulturell bis heute spürbare, russische Vorherrschaft kämpfen, bis zur vorsichtigen Emanzipation der älteren Frauengeneration reicht der szenische Bogen.
Zwischendurch wird das handverlesene Publikum häufig angespielt und direkt einbezogen: so wird der Putzlappen in einer Szene an Schaubühnen-Ensemble-Mitglied Jule Böwe weitergereicht. Es dominieren in dem kleinen Raum die Muttersprachler, die den Vorteil haben, dass sie auch die kirgisischen/russischen Improvisationen des Ensembles verstehen und sich sichtlich darüber amüsieren.
Für das mitteleuropäisch sozialisierte Publikum bleibt „Nest“ ein 100 Minuten kurzer Streifzug durch eine Gesellschaft, die in unseren Medien kaum präsent ist. Wenn Kirgisistan von Putins Truppen angegriffen würde, bliebe der Westen wohl gleichgültig, ganz anders als im Fall der Ukraine, ätzt eine Protagonistin.
Die Rolle als exotischer Farbtupfer im FIND-Festival-Programm thematisiert das „Nest“-Team auch ironisch mit. Für eine kurze Irritation sorgt schließlich eine Spielerin, als sie erklärt, eigentlich sollte jetzt ein Palästina-Monolog folgen. Aber in der politisch aufgeheizten Debatte traue sie sich das einfach nicht.
Bild: © Ilya Karimdjanov