Donation

„100 + 10 – Armenian Allegories“ nennen Shermin Langhoff und ihr Team das vollgepackte Festivalprogramm aus Lesungen, Performances, Filmen, Diskussionen und bildender Kunst, das in den kommenden vier Wochen auf den Gorki-Spielstätten zu sehen sein wird.

Mit langem Atem bohrt das Gorki die dicken Bretter, die dem Haus seit langem ein Anliegen sind. 2015 gab es bereits einmal ein umfangreiches Festivalprogramm. Anlass war der 100. Jahrestag des Aghet, des Genozids des Osmanischen Reichs an Armenierinnen und Armeniern. Damals schlug das Thema innenpolitische Wellen. Lange war umstritten, in welcher Form die Bundesregierung und der Bundestag dieses historischen Unrechts gedenken sollen. Bis heute weist die türkische Regierung von Präsident Erdogan den Genozid-Vorwurf zurück.

Bereits im vergangenen Jahrzehnt waren der kanadisch-armenische Regisseur Atom Egoyan und seine Frau Arsinée Khanjian mit einer Videoinstallation und einer szenischen Lesung im Gorki-Festivalprogramm. Nun ist die Uraufführung ihrer installativen Performance „Donation“ der prominenteste Slot im umfangreichen Festivalprogramm.

Während das Publikum Platz nimmt, laufen Videoaufnahmen über die Bühnen-Rückwand. LKWs rangieren, die Technik-Crew des Gorki lädt Paletten, es liegt noch Schnee. Vermutlich stammen die Aufnahmen vom Probenstart im Februar. Auf der Bühne nimmt Arsinée Khanjian als sie selbst an einem schmucklosen Holztisch Platz. Hinter ihr sind an langen Kleiderständern die Kostüme aufgereiht, die Egoyan/Khanjian im Jahr 2002 für ihr Genozid-Historiendrama „Ararat“ verwendeten und später auch Fatih Akin für seinen Film „The Cut“ (2014) zum selben Thema.

Diese Kostüme will das Künstlerpaar Egoyan/Khanjian an den Fundus des Gorki Theaters spenden. Ihr Wunsch sei es, dass die Kostüme weitere Theatermacher inspirieren, sich mit dem historischen Verbrechen und der verdrängten Erinnerung auseinandersetzen. Als angeblicher Kurator kommt Gorki-Ensemble-Mitglied Edgar Eckert ins Spiel. Er bedrängt Khanjian im Gestus eines investigativen Reporters oder Anklägers. Sie fühlt sich sichtlich unwohl, ihr Körper verkrampft in Abwehrhaltung.

Das 90 Minuten kurze Stück wird mehr und mehr zur Bilanz: was ist in den Jahren seit dem Genozid-Jahrestag passiert? Auf der Habenseite steht, dass der Deutsche Bundestag 2016 nach langem Widerstand der damaligen Kanzlerin Angela Merkel und des damaligen Außenministers/heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier eine Reolution zum Genozid an den Armeniern verabschiedete. Cem Özdemir, damals Parteivorsitzender der Grünen und aktuell noch geschäftsführend als Minister der zerbrochenenen Ampel im Amt, war eine der treibenden Kräfte.

Doch schwer wiegen die Verluste – politisch wie privat. Khanjian, die als Vertreterin der armenischen Diaspora und Aktivistin der Revolution von 2018 vor Ort mitjubelte, drückt ihren Schmerz über eine weitere Niederlage der Armenier aus. 2020-2023 wurden Armenier im Krieg um Berg-Karabach/Arzach von Aserbaidschan mit Unterstützung der Türkei vertrieben. Ein neues Trauma, wieder schaute die Welt weg. Die Pandemie stand im Zentrum der Aufmerksamkeit, das verbündete Russland konzentrierte sich bekanntlich auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Aber auch privat waren es bittere Jahre für Egoyan/Khanjian: die Schauspielerin überlebte eine Krebserkrankung nur knapp, ihr Körper ist sichtlich mitgenommen, während im Hintergrund immer wieder Aufnahmen aus ihren Filmen mit Atom Egoyan oder Paolo und Vittorio Taviani flimmern, in denen sie jung und schön zu erleben ist.

Es handle sich bei „Donation“ um ihr persönlichstes Theaterstück, sagten Egoyan/Khanjian vorab im Tagesspiegel. Das Stück der beiden Enkel von Genozid-Opfern ist ihre persönliche und politische Bilanz eines Herzensanliegens. Wie schon von Egoyans Filmen gewohnt, die auf großen Festivals wie Cannes prämiert wurden, ist „Donation“ keine leichtfüßige Unterhaltung, sondern auf Metaebenen unterwegs.

Als Theaterstück funktioniert „Donation“ nur eingeschränkt. Zu minimalistisch ist die Form dieser installativen Performance, zu „selbstreferentiell“ der um eigene Arbeiten kreisende Fokus, wie Nachtkritik zurecht kritisierte. Karge Kost zum Festivalauftakt: „Donation“ ist harte Erinnerungsarbeit, auf die man sich einlassen muss. Rüdiger Schaper war im Tagesspiel tief berührt von der alternden, kranken Schauspielerin, die ihren politischen und privaten Schmerz teilt.

Bild: © Ute Langkafel MAIFOTO

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