Um die abwesende Mutter trauern drei Schwestern im Stück von Leo Lorena Wyss. Meist chorisch beklagt das Trio die psychische Erkrankung der Mutter, die nach einer Überdosis Tabletten an Schläuchen im Koma liegt. Am Krankenhausbett stehend erinnern sie sich an glücklichere Zeiten: ans Schwimmbad mit Pommes im Sommer, an endlose Wiederholungen ihres Lieblingsfilms „Titanic“ auf der Couch. Nirgends gelingt ihnen der Eskapismus aus der tristen Gegenwart so gut wie beim Anschmachten von Leonardo diCaprio und Kate Winslet, deren ikonischste Szenen das Trio nachspielt.
Wie Fliegen, die immer wieder vergeblich gegen die Gehirnwand prallen und den Ausgang nicht finden, erleben die Mädchen ihre kreisenden Gedanken. Wyss, in Hildesheim ausgebildete nonbinäre Autor*in, wurde für den kleinen, melancholisch-poetischen Text mit dem Retzhofer Dramapreis 2023 ausgezeichnet. Der ist traditionell mit der Uraufführung im Vestibül des Wiener Burgtheaters verbunden, 2024 wurde Wyss mit dem österreichischen Nestroy für den besten Nachwuchs-Stücktext ausgezeichnet.
Zu den Autor*innentheatertagen wurde nicht die UA eingeladen, sondern eine der drei weiteren Inszenierungen, die es von dem Stück bereits gibt. Im Zimmertheater Tübingen hatte am 1. Februar 2025 die Regie-Arbeit von Magdalena Schönfeld Premiere. Auf der Bühne stehen Fenna Benetz, Johanna Engel und Jel Woschni. Weitere „Muttertier“-Versionen gibt es bereits in Stuttgart und Köln. Die Einladung des Tübinger Teams in die DT-Box war sicher auch ein Akt der Solidarität für die von Kürzungen besonders gebeutelten Kolleg*innen.
Bild: Alexander Gonschior