Die Stimmung lethargisch, die Lage trist: wie bei Anton Tschechow sitzen Abgehängte und Desillusionierte irgendwo in der Provinz. Allerdings nicht im Russland zur letzten Jahrhundertwende, sondern im Osten der Gegenwart. Die besseren Zeiten in der Pension „Onkel Werner“ liegen offensichtlich schon lange zurück. Die Mutter (Catherine Stoyan) beharrt darauf, dass es weiter ein linkes Etablissement sei, und ertränkt ihren Kummer in Unmengen Eierlikör. Ihr Sohn Werner (Nico Link) ist nach weit rechts abgedriftet: er wiederholt die bekannten Parolen der AfD-Wähler, dass das Mainstreamfernsehen nur Lügen verbreite und wettert gegen seine Schwägerin, die aus Berlin angereiste Politikerin Alexandra (Iris Albrecht), die eine lesbische Beziehung mit einer wesentlich jüngeren Frau hat (Marie-Joelle-Blazejeweski). Das Tableau komplettieren die in der Provinz hängengebliebene Tochter Sonja (Luise Hart), der Rettungssanitäter Michael (Philipp Kronenberg) und Patenonkel Ingo (Norman Groll).
Jan Friedrichs Versuch, aus dem Tschechow-Klassiker eine bissig-satirische Abrechnung mit den ostdeutschen Befindlichkeiten zu machen, funktioniert vor allem in der ersten Hälfte erstaunlich gut. Typische Argumentationsmuster und Verhaltensweisen werden extrem überzeichnet. Deutlich sind der Textfassung Frust und Verzweiflung über die Wahlergebnisse anzumerken. Gallig und nur manchmal zu holzschnittartig werden die Prototypen des kaputten Ost-Diskurses vorgeführt.
Wenn sich die Figuren in ihren Beziehungskrisen verheddern, kommt die Klassiker-Überschreibung nah an Boulevard und Volksstück. Interessanter wird es, wenn der Stücktext wieder am politischen Zündstoff andockt und ganz zum Schluss den Bogen zurück zu Tschechows Melancholie schlägt: zwischen „Jetzt wird wieder alles wie früher“, redet sich Werner ein. Doch Sonja weiß, dass es zuende ist: „Ich hab keine Kraft mehr.“
Einen regelrechten Lauf hat hingegen das Theater Magdeburg: im Mai war es mit „Blutbuch“ erstmals zum Theatertreffen eingeladen, Regie führte auch bei dieser Roman-Adaption Jan Friedrich. Theater der Zeit verlieh dem Haus den Martin Linzer-Preis. Diese Woche ist das Theater Magdeburg schon wieder nach Berlin eingeladen: beide Spielzeit-Eröffnungs-Inszenierungen wurden zu den Autor*innentheatertagen ans DT Berlin eingeladen.
„Onkel Werner“ hatte am 21. September 2024 in Magdeburg Premiere, ist dort aber meines Wissens nach leider nicht mehr zu sehen.
Bild: Gianmarco Bresadola