The Dark Ages

Milo Rau lässt am Residenztheater von Krieg, Genozid und Vertreibung erzählen

Unsere mitteleuropäische Zivilisation ist auf dünnem Eis gebaut: das ist die Quintessenz von Milo Raus „The Dark Ages“.

Am eindrucksvollsten wird dies bei den Schilderungen von Vedrana Seksan klar. Sie war eine 15jährige Teenagerin, als Sarajevo eingekesselt wurde. Eine Flugstunde von München und zwei Flugstunden von Berlin entfernt endete der Alltag einer europäischen Großstadt: keine Heizung, kein Strom, kein Licht; ständige Gefahr durch Heckenschützen und Granatenbeschuss.

Seksan und ihre vier Mitstreiter erzählen von Krieg, Genozid, Entwurzelung und Vertreibung: Sanja Mitrović erlebte das Bombardement auf Belgrad im Frühjahr 1999, nach dem Sturz von Milosevic ging sie nach Brüssel. Der Menschenrechtsaktivist Sudbin Musić ist als einziger kein Profi-Schauspieler. Er schildert, wie er das Lager Omarska überlebte, und empört sich im Publikumsgespräch, dass der Stahlkonzern Arcelor Mittal das Gelände aufgekauft hat und ein würdiges Gedenken an die Opfer verhindert.

Aus dem Ensemble des Münchner Residenztheaters wirken Valery Tscheplanowa und Manfred Zapatka mit. Tscheplanowa kam mit ihrer Mutter aus Kasan nach Deutschland, da das verunreinigte Trinkwasser in der untergehenden Sowjetunion sie krank gemacht hatte. Sie erzählt, wie schwer sie in der Fremde Fuß fasste und deshalb meist schwieg. Als schüchterne junge Frau wurde sie von Dimiter Gotscheff bei einem Vorsprechen fürs Deutsche Theater Berlin entdeckt. In einer der wenigen Abschweifungen, die sich der Abend gönnt, erinnert Tscheplanowa an die gemeinsame Arbeit mit dem Regisseur in „Hamletmaschine“ und die letzten Begegnungen vor seinem Krebstod.

An den Zweiten Weltkrieg hat aus diesem Quintett nur Manfred Zapatka persönliche Erinnerungen. Er schildert, wie die Familie in Bremen ausgebombt wurde, der Vater aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte und wie er sich mit dem Bruder in einem Erbschaftsstreit überwarf.

Mehrere Wochen lang erzählten sich die fünf Protagonisten gegenseitig ihre Geschichten. Milo Rau machte daraus eine bedrückende Dokumentartheater-Collage in fünf Akten. Wie nahe die autobiographischen Erzählungen über Krieg und Genozid gehen, zeigt vor allem die Stille im Saal.

Anders als Yael Ronen in „Common Ground“ lässt Milo Rau keine kabarettistischen Pausen zum Durchatmen zu. Ein berührendes, schlimmes Erlebnis reiht sich an das nächste. Gerade diese konzentrierte Vorgehensweise macht „The Dark Ages“ so packend: ein gelungener Abschluss der FIND-Festival-Woche an der Schaubühne.

„The Dark Ages“ gastierte am 16. und 17. April beim FIND-Festival der Schaubühne in Berlin. Weitere Termine in München

Bild: Thomas Dashuber

3 thoughts on “The Dark Ages

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