Anfang 2010 beherrschten die Missbrauchsskandale in sogenannten „Eliteschulen“ wochenlang die Schlagzeilen, bevor sich unsere mediale Erregungsdemokratie wieder anderen Themen wie Finanzkrise und Fußball-WM zuwandte, wie auch an diesem Theaterabend in einer kurzen Passage kritisiert wurde.
Neben der Odenwaldschule, dem Vorzeigeprojekt der Reformpädagogik, waren vor allem katholische Einrichtungen wie Kloster Ettal, die Regensburger Domspatzen, das Canisiuskolleg in Berlin und das Aloisiuskolleg in Bonn-Bad Godesberg betroffen.
Thomas Melle, der sich als Autor von Erzählungen und Romanen einen Namen gemacht hat und zuletzt mit „3000 Euro“ auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, ist in Bonn aufgewachsen und hat das Aloisiuskolleg besucht.
In seinem Stück „Bilder von uns“, das im Januar in der Werkstatt des Theaters Bonn uraufgeführt wurde, beschreibt er die unterschiedlichen Strategien der mittlerweile erwachsenen Absolventen, mit den plötzlich auftauchenden Missbrauchs-Bildern umzugehen.
Alle Figuren des Stücks sind fiktiv, könnten aber auch im wahren Leben auftreten. Die Extrempositionen werden von Jesko Drescher (gespielt von Benjamin Grüter) und Konstantin (verkörpert von Benjamin Berger) markiert. Der eine ist ein schnöseliger Manager, der am liebsten mit den gewohnten Mechanismen des Verdrängens weitermachen würde und das Thema zunächst sogar vor seiner Frau verheimlicht. Der andere ist seelisch zerbrochen und nimmt sich kurz vor Schluss des Stücks das Leben.
Die Uraufführungs-Inszenierung von Alice Buddeberg ist sehr spröde, verzichtet auf der kahlen Bühne fast völlig auf Requisiten und Kostüme. Das Stehtheater mutet fast schon wie eine szenische Lesung an. Vor allem die langen Prosapassagen, die Melles Text prägen, verstärken dies.
„Bilder von uns“ ist eine Theaterinszenierung zu einem wichtigen Thema. Den Text selbst zu lesen ist aber in diesem Fall eindrucksvoller als die Umsetzung auf der Bühne.
Das Stück wurde am 21. Januar 2016 in der Werkstatt des Theaters Bonn uraufgeführt und war am 18./19. 2016 bei den Autorentheatertagen in der Box des Deutschen Theaters Berlin eingeladen.
Bildrechte: Thilo Beu
Unheiliger Berg
Dann ist es auf jeden Fall auch spannend, das Buch \“Unheiliger Berg\“ von Ebba Hagenberg-Miliu zu lesen, das Thomas Melles Theaterstück zu Grunde liegt.
http://unheiliger-berg.jimdo.com/
Hier haben sich 2014 erstmals Missbrauchsopfer aller Generationen (des Bonner jesuitischen Aloisiuskollegs, also der Schule Melles) ihre Leidensgeschichte von der Seele geschrieben. Bei Melle tauchen eine ganze Reihe wieder auf. Das Buch über den gar nicht so Heiligen Berg Bonns (so hieß der Sitz des Kollegs über Jahrzehnte im Sprachgebrauch) spielte und spielt eine wichtige Rolle in der Aufarbeitung des Missbrauchs in Institutionen. Lobenswert, dass Melle hier den Faden im Rahmen der Kunst weiterspinnt .
Konrad Kögler
Vielen Dank für Ihren Hinweis
Unheiliger Berg
Gerne.