Parallelwelt

Schmerzverzerrt krümmt sich Uwe Schmieder im Todeskampf. Er spielt einen alten Mann, der zum Sterben ins Hospiz gekommen ist. Auf der anderen Seite des Split-Screens sehen wir Stephanie Eidt: schreiend und pressend in den Wehen. Geburt und Sterben, Anfangs- und Endpunkt des Lebens von „Fred“ sind gleichzeitig zu erleben.

Diese hyper-expressionistische Szenen stehen am Anfang der als Weltneuheit mit lautem Marketingtrommelwirbel angepriesenen Simultan-Uraufführung „Parallelwelt“ von Berliner Ensemble und Schauspiel Dortmund. Spannende Fragen haben sich Kay Voges und sein Team vorgenommen: „Was ist wirklich? Alles was sich messen lässt? Welche anderen Wirklichkeitsräume gibt es und welchen Einfluss haben sie auf unser Leben? Was ist mit Traum und Fantasie? Welche Rolle spielen Gedanken und Vorstellungen? Erschaffen wir die Welt in unserer Vorstellung oder können wir uns nur vorstellen, was der Fall ist? Was aber ist der Fall? Und für wen? Und wo? Welche Wirklichkeitsräume teilen wir mit wem genau, seit die digitalisierte Welt gefühlt auf einen Punkt zusammengeschrumpft und zum globalen Dorf geworden ist, in der es keine Abstände mehr gibt?“

Hinter den von den beiden Theatern geschürten hohen Erwartungen bleibt der Abend meilenweit zurück: Aufgeblasen mit Zitaten aus einem überquellenden Zettelkasten (von Empedokles über Newton bis Heisenberg) und erschreckend banal versucht sich der Abend daran, das Leben von „Fred“ aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen. Berlin arbeitet sich von der Geburtsszene vorwärts, Dortmund spult von der beschriebenen Sterbeszene zurück. Zur Halbzeit der zähen zwei Stunden treffen sie sich bei einer Doppelhochzeit, bei der sich Bettina Lieder und Annika Meier als hysterische Bräute gegenseitig ankeifen, wer real und wer Illusion ist.

Bis zu diesem Zeitpunkt troff der Abend derart vor Kitsch, den eine Stimme aus dem Off esoterisch in die beiden Pubkika raunte, dass es an ein Wunder grenzte, dass das eigens verlegte Glasfaserkabel nicht aus Scham in Salzgitter-Bad auf halber Strecke zwischen Berlin und Dortmund entzwei riss. Auch Esther Slevogt fühlte sich in ihrem Nachtkritik-Doppelinterview wie in einer New Age-Werbeveranstaltung.

Nach der Hochzeitsszene versuchte es Kay Voges mit mäßig gelungenen Kalauern über Würste, die vom Streit zwischen Oliver Kraushaar und Andreas Beck darüber, ob man im Ruhrpott oder bei Konopke in Berlin die bessere Currywurst bekommt, angestoßen wurden, einem lauen Gag mit zwei Zwillings-Statistinnen in gelben Shirts, die in beiden Städten in Reihe 4 saßen, und einigen Videoeinspielern. Dies konnte das Niveau dieses technisch aufwändigen, inhaltlich belanglosen Abends jedoch nicht mehr heben.

Die Experimentierfreude ist anerkennenswert, die Quantenphysik und die Digitalisierung sind bestimmt spannende Felder. Aber das Ergebnis ist mager: ein zu hölzern gespielter, mit Klischees überfrachteter Abend über Figuren, die zu banal sind, um ihnen zwei Stunden lang ernsthaftes Interesse zu widmen.

Bilder: Birgit Hupfeld

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert