Traditionell finden die Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin zum Saisonfinale im Juni statt. Doch in dieser Corona-Spielzeit ist alles anders: Im Oktober 2020 konnten kurz vor dem zweiten Lockdown immerhin noch zwei der drei Uraufführungen nachgeholt werden, das Gastspielprogramm entfiel, stattdessen gab es nur szenische Lesungen der ausgewählten Autorinnen und Autoren. Schon zum zweiten Mal in Folge müssen die Autorentheatertage nun im Juni 2021 verschoben werden. Erst an einem verlängerten Wochenende Anfang September kann das Publikum das komplette Programm aller drei Uraufführungen erleben, die Lukas Bärfuss, Fritzi Haberlandt und Schorsch Kameriun prämierten. Nur den ersten der drei Texte brachte das DT Berlin als Festival-Vorgeschmack zur Uraufführung.
„When there´s nothing left to burn you have to set yourself on fire“ von Chris Michalski spielt im Paunsdorf Center, laut Eigenwerbung größtes Einkaufszentrum Sachsens. Es ist das Revier der Influencerin und Video-Bloggerin Petra, die von Katrin Wichmann mit Hippster-Mütze verkörpert wird. Ihr Bekannter Jan L. hat sich umgebracht. Mitten im Einkaufszentrum hat er sich selbst angezündet, traumatisiert vom Afghanistan-Einsatz und als Fanal gegen Kapitalismus und Konsumgesellschaft.
Die Influencerin, die sich über mangelndes Interesse an ihren Videos beklagt, macht sich auf die Suche nach Gesprächspartnern: Jans Bruder (Manolo Breitling), seine Ex-Freundin, eine Bundeswehr-Kameradin, eine Center-Angestellte – sie alle werden von Petra, die Wichmann mit klischeehafter Aufgekratztheit spielt, vor die Kamera gezerrt. Mal in vorproduzierten Videos von Bert Zander, mal live auf der Bühne unterhalten sich die Figuren über ihr Verhältnis zu Jan.
Diese Gespräche bieten wenig theatralisches Futter. Im Gegensatz zu den Textflächen, die in der zeitgenössischen Dramatik angesagt sind, bieten sie zwar Dialoge mit klaren Rollenverteilungen. Aber die Figuren bleiben konturlos. Es wird viel geredet an diesem 80 Minuten kurzen Abend, Petra kommt ihrem Ziel jedoch kaum näher. Tragikomisch scheitert ihr Versuch, an eine Selbstverbrennung zu erinnern. Bemerkenswert ist, dass dieser Text schon die zweite Annäherung binnen weniger Monate auf dem DT-Spieplan an das Thema Selbstverbrennungen. Kurz vor dem Lockdown inszenierte Jossi Wieler in den Kammerspielen Peter Handkes poetisch-versponnene Spurensuche „Zdenek Adamec“.
Immerhin darf Anja Schneider noch einige witzige Akzente setzen: In kleinen Comedy-Nummern putzt sie als Jans sächselnde Ex-Freundin Petra herunter und macht ihr Vorhaltungen, dass sie sich bei jedem im Center hochschlafen wollte. Als Jans Mutter purzelt sie durch eine der Öffnungen in Jo Schramms Hüpfburg-Bühnenbild in einem Slapstick-Auftritt. Auch die letzte Szene gehört ihr: zur Klampfe stimmt sie den Evergreen „Sag mir wo die Blumen sind…“ an.
Regisseur Tom Kühnel, der am Deutschen Theater Berlin zuletzt mehrfach im Duo mit Jürgen Kuttner Revuen zu historischen und politischen Themen inszenierte, agiert diesmal sehr zurückhaltend. Wenige szenische Einfälle lockern den Text auf, der ohnehin kaum dramatisches und theatralisches Potenzial bietet. Deshalb ist es auch überraschend, dass das DT Berlin als Gastgeber der Autorentheatertage den Text „When there´s nothing left to burn you have to set yourself on fire“ nicht den Kooperationspartnern vom Schauspiel Leipzig überlassen hat, für die zumindest das Lokalkolorit rund um das Einkaufscenter reizvoll sein könnte.
So bleibt von dem Abend bei bestem Sommerwetter nur die Einweihung einer interessanten Spielstätte: quer durch das Haus wird das Publikum in den Innenhof gelotst, wo auf einer kleinen Open Air-Bühne in wenigen Tagen mit „Gaia googelt nicht“ auch gleich eine weitere Uraufführung ansteht. Ein Wiedersehen gab es an diesem Abend noch mit Manolo Bertling: neben den beiden Spielerinnen aus dem DT-Ensemble gastierte er just an dem Wochenende, an dem ein paar Kilometer weiter östlich die glücklose Interimsintendanz an der Volksbühne am Rosa Luxemburg-Platz endet, wohin Bertling dem über #metoo-Vorwürfe gestolperten Intendanten Klaus Dörr vor zwei Jahren aus Stuttgart gefolgt war.
Bilder: Arno Declair