Der Idiot

Sehr zäh schleppt sich Sebastian Hartmanns gewohnt freie Dostojewski-Bearbeitung bis zur ersten Pause. Bild reiht sich an Bild, von einem Bilderrausch ist dieser Abend aber weit entfernt. Nach den eindrucksvollen Live-Stream-Experimenten „Der Zauberberg“, der im Lockdown kurzfristig ins Netz verlegt werden wusste, und dem Dresdner „Buch der Unruhe“ fällt dieser ganz analoge Hartmann wieder zwei Schritte zurück.

Mit Buhrufen wurde das Ensemble in die erste Pause verabschiedet, viele Plätze blieben anschließend leer. Tatsächlich wirkte dieser erste Teil wie ein orientierungsloses Stochern im Roman-Dickicht. Ohne überzeugendes Konzept und Spannung schleppte sich der Abend Szene um Szene voran.

Erst nach 21 Uhr kam „Der Idiot“ langsam auf Betriebstemperatur. Nun schlug die Stunde virtuoser Soli. Niklas Wetzel, der zuvor schon kleinere Clownerien andeutete, durfte zum ersten Mal voll aufdrehen und hetzte in osteuropäischem Akzent durch eine ironische Kurzzusammenfassung des Dostojewski-Wälzers. Elias Arens unterhielt das Publikum auf Schwyzerdütsch und legte die bei Hartmann-Inszenierungen fast schon obligatorische Nackztszene mit einer Ausdruckstanz-Parodie aufs Parkett.

Manuel Harder, Birgit Unterweger, Niklas Wetzel

Was wäre eine Hartmann-Inszenierung ohne ein Solo von Linda Pöppel, die wieder mal an die Grenzen geht? Nackt und mit rotem Theaterblut überströmt baumelt sie von der Decke, presst und schreit Satzfetzen heraus, bis sie entkräftet am Boden liegen bleibt. Eine typische Hartmann-Szene, die beim Theater-Bingo eine sichere Bank ist.

Ruth Reinecke, über Jahrzehnte eine feste Größe im Ensemble des Gorki Theaters und nun am DT zu Gast, leitet die nächste Slapstick-Nummer ein: „Linda friert!“, ruft sie in mütterlicher Besorgtheit, Birgit Unterweger fällt theatralisch mehrfach in Ohnmacht. So rettet sich der Abend in die zweite Pause.

Bis kurz vor Mitternacht folgte noch ein Nachklapp: auf einen Monolog von Ruth Reinecke im Glitzerkleid folgt ein minutenlanges Geballer mit Platzpatronen, das symptomatisch ist für diese Inszenierung. Es gab zwar manch virtuoses Kabinettstückchen, aber der mit 4,5 Stunden viel zu lange Abend ist über weite Strecken nicht mehr als eitles Selbstbehauptungsgebrüll, wie Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung zusammenfasste.

Von dieser Premiere bleiben ansonsten noch die Verve und Ausdauer in Erinnerung, mit der eine Zuschauerin ihre Viren und Aerosole konsequent ohne Maske in den Saal ballerte. Da stößt wohl auch das beste Lüftungssystem an seine Grenzen. Legen es manche Menschen darauf an, dass sich die Pandemie-Lage noch weiter zuspitzt und dann auch die Theater wieder schließen müssen?

Bilder: Arno Declair

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert