Die Tonlage in Karin Beiers Antiken-Marathon bleibt gleich: zwischen Comedy und tragischem Pathos bietet ihr fünfteiliges Anthropolis-Projekt Familien-Unterhaltung im Netflix-Stil, dementsprechend buntgemischt war auch die Altersstruktur im Publikum bei der zweiten Vorstellung am Sonntag Nachmittag.
Nach Lina Beckmanns „Laios“-Solo geht die regieführende Intendantin für Teil Drei wieder in die Vollen: die Titelrolle des Ödipus übernimmt mit Devid Striesow ein TV-Star, der unter Beiers Regie schon mehrfach am Haus gastierte, z.B. als Ivanov, und sich ansonsten jenseits der Ursina Lardi/Thorsten Lensing-Projekte auf den Bühnen sehr rar macht. In der ersten Hälfte belästigt er das Publikum mit noch mehr Qualm als Martin Wuttke in René Polleschs Fantômas, danach geht er jammernd und winselnd zu Grunde, gerät aber zu oft ins Chargieren.
Die Akzente setzen andere: Karin Neuhäuser als mit allerlei Brimborium behängte Priesterin des Orakels von Delphi zeigt schon im Prolog, warum sie bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Thalia-Ensemble 2022 ein Liebling des Hamburger Publikums war und es nun als Gast am benachbarten Schauspielhaus bleibt. Ihre Verehrung erreicht noch keine Lina Beckmann-Ausmaße, aber mit ihrer rauchgeschwängert-kratzigen Stimme und ihrem stets leicht angewiderten Gesichtsausdruck bringt sie ihre Verwunderung über die merkwürdigen Zustände wunderbar komisch von ihrem Lieblingsplatz vorne an der Rampe unters Publikum.
Vom 2. Rang dröhnt und grollt der Chor herunter: Jörg Gollasch, Christoph Jöde und Alexander Weise haben mit den überwiegend sehr jungen Mitgliedern die düsteren Passagen einstudiert, die dem manchmal Richtung Klamauk abdriftenden Geschehen in den niederen Bühnengefilden den archaischen Tragödien-Ton des Sophokles entgegensetzen.
Düster und wuchtig tritt auch Julia Wieninger als Iokaste auf, die ähnlich wie Ödipus den Fluch lange nicht wahrhaben will, aber nicht ganz so schwer von Begriff ist. Als Sidekicks treten mit Ernst Stötzner (Kreon) und Michael Wittenborn (Teiresias) zwei erfahrene Komödianten auf, die ihren Tragödien-Figuren die entsprechende skurrile Seite abgewinnen.
Auf der monumentalen, gähnend leeren Bühne von Johannes Schütz gelingt somit ein kurzweiliger, knapp zweistündiger Theater-Nachmittag.
Nach der Premiere am 13. Oktober 2023, die passend zum Datum von einem längeren Feuer-Fehlalarm gestört wurde, läuft „Ödipus“ als Einzel-Vorstellung oder auch als Teil des Komplett-Pakets.
Bilder: Monika Rittershaus