Das große Thema von Andrea Arnold ist das Aufwachsen in prekären Verhältnissen. Mit hartem Realismus, wackligen Bildern und hektischen Schnitten stellt sie in ihrem neuen Film „Bird“ die Welt der Teenagerin Bailey (Nykiya Adams) vor. Der Vater (Barry Keoghan) ist ein großes Kind, die Brust und die Arme sind voller Tattoos, er träumt davon, mit dem halluzinogenen Schleim einer Kröte reich zu werden, um somit auch die anstehende Hochzeit mit seiner neuen Flamme zu finanzieren. Die Mutter ist an einen noch größeren Taugenichts geraten, der sie und die jüngeren Geschwister von Bailey mit Gewaltausbrüchen malträtiert.

In diese triste Welt der abgehängten Unterschicht, die aus dem britischen Kino von Andrea Arnold oder Ken Loach vertraut ist, bricht ein Mystery-Wesen: Franz Rogowski, der sich nur „Bird“ nennt, ist mit seinen altmodischen Klamotten, seinem Rock und seinem lispelnden Akzent von vornherein ein Fremdkörper in diesem Szenario. Er taucht immer wieder auf, wenn Bailey besonders schlimme Erfahrungen macht. Gemeinsam suchen sie nach Birds Vater, er verteidigt sie auch im Showdown.

Anfangs wirken die beiden Erzählstränge zu disparat. Die Herausforderung, den harten Realismus und doe surreale Märchenfigur schlüssig zu verbinden, ist gewaltig. Andrea Arnold wagt sehr viel, am Ende funktioniert das Zusammenführen der Stränge überraschend gut.

Bei aller Tristesse ist „Bird“ aber auch voller Komik und manchmal sogar Optimismus, z.B. bei der ausgelassenen Hochzeits-Party zu „Cotton Eye Joe“ von Rednex. Britpop-Hymnen von Damon Albarn oder Coldplay ziehen sich als Begleitmusik durch den Film.

Andrea Arnold ist Stammgast in Cannes, wo auch „Bird“ im Wettbewerb seine Premiere feierte, diesmal aber keine Palme gewinnen konnte. Schon im Mai 2024 spaltete er die Kritik, die sich an der Frage entzweit, ob der Spagat zwischen Realismus und Surrealismus gelingt.

Seitdem lief „Bird“ auf vielen Festivals, seine Deutschlandpremiere hat er diese Woche beim Filmfest Hamburg. Der bundesweite Kinostart ist für Januar 2025 geplant.

Bild: Atsushi Nishijima, House Bird Limited, Ad Vitam Production, British Broadcasting Corporation, The British Film Institute, Pinky Promise Film Fund II Holdings LLC, FirstGen Content LLC and Bird Film LLC (via Ad Vitam)

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