Pop, Pein, Paragraphen

Cem Kaya wurde einem größeren Publikum durch seine Film-Collage „Aşk, Mark ve Ölüm (Songs of Gastarbeiter – Liebe, D-Mark und Tod)“ bekannt, die 2022 im Panorama der Berlinale lief und mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. 

Das Gorki Theater lud ihn zu einer „Deutschstunde“ ein: Aufhänger der Video-Lecture sollten das Grundgesetz-Jubiläum und die hitzigen Debatten um Asyl und Migration sein. Mit Karteikarten postiert sich der Dokumentarfilm-Regisseur in der Bühnenmitte und führt launig durch eine Revue seiner Fundstücke. Man muss sich die Lecture „Pop, Pein, Paragraphen“ stilistisch wie Jürgen Kuttners legendäre Volksbühnen-Videoschnipsel-Vorträge vorstellen: wie ein Schmetterling flattert auch dieser Abend von Ausschnitt zu Ausschnitt, verweilt hier und da mal länger, bietet immer wieder überraschende Perspektiven, aber verzettelt sich ohne klaren roten Faden auch ziemlich oft.

Kaya, der 1976 in Schweinfurt geboren ist, faszinierten vor allem die Fundstücke aus der gemütlichen, alten Bundesrepublik seiner Kindheit und Jugend in den 1980er Jahren. Ein Besuch des Gorki-Abends lohnt sich schon für die herablassende Art, in der Goethe-Institut und BR damals den „Gastarbeitern“ die deutsche Kultur von Beethoven, Goethe und Humboldt näherbringen wollte. Der türkische YouTuber Ekim Zafer Acun alias ŞOKOPOP kommt im Mittelteil des Abends dazu und erweitert das Panorama um die türkische Perspektive. Er zeichnet die Strategie des damaligen Staatspräsidenten Turgut Özal nach, der die autoritäre Militärherrschaft mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik á la Thatcher und Reagan flankierte, was u.a. dazu führte, dass der türkische Markt von Soaps im Stil von „Dallas“ und „Denver-Clan“ überschwemmt wurde.

Vier Jahrzehnte liegt ein besonders dunkles, kaum noch erinnertes Kapitel deutscher Asyl- und Rechtsgeschichte zurück: die damalige türkische Militärjunta verlangte die Auslieferung des 23jährigen Asylbewerbers Cemal Kemal Altun. Er nahm sich im August 1983 mit einem Sprung aus dem 6. Stock des West-Berliner Kammergerichts das Leben: an seinem Grab empörte sich sein Anwalt Wolfgang Wieland, späterer Grüner Justizsenator in Berlin, über rassistische Witze gegen Türken, der junge Abgeordnete Joschka Fischer las dem damaligen Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) die Leviten.

Um Rassismus und Ausgrenzung kreisen auch die vielen weiteren Schnipsel der mehr als zwei Stunden: manches ist zum Schmunzeln, vieles erschreckend. Der Abend springt vor und zurück, landet in Seitensträngen und endet schließlich mit einer sehenswerten „Der Exorzist“-Parodie aus Kayas eigenem Frühwerk: 2004 kontrastierte er eine Parteitagsrede der damaligen CDU-Vorsitzenden Angela Merkel über „Leitkultur“ mit den Filmklassiker von William Friedkin.

Launig und satirisch endet dieser Schnipsel-Abend, der einige Anregungen und Denkanstöße bot, aber oft wie ein ausgeschütteter Zettelkasten mitten in der Arbeit an einem neuen Filmprojekt wirkte.

Bild: Ute Langkafel MAIFOTO

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