„Erotic Crisis“: Nummernkabarett über Beziehungskrisen im Gorki

Als auch der letzte Gast, eine mit Piercings regelrecht zugetackerte eindrucksvolle Gestalt des Berliner Nachtlebens, endlich seinen Platz im Zuschauerraum gefunden hat, kann es auf der Bühne endlich mit dem zweiten Teil der Gorki-Doppelpremiere los gehen. Die erste Szene gibt den Rhyhtmus von Erotic Crisis vor: ein lange verheiratetes Ehepaar sucht im Doppelbett die verdiente Nachtruhe, wird aber durch laute Sexgeräusche der Nachbarn gestört und schmerzlich an die eigene Flaute erinnert. Links und rechts vom Ehebett haben sich die beiden Schauspieler-Kollegen postiert und keuchen in ihre Mikrofone.

Eine schnelle Abfolge von Sketchen aus dem Nummernkabarett leuchtet die Tiefen und Untiefen des Beziehungslebens aus: die Lust, die nach zehn gemeinsamen Jahren nur noch auf Sparflamme kocht; der Druck, der von der Pornoindustrie mit ihren Hochleistungs-Bett-Sport-Videos als Messlatte aufgebaut wird; die Einsamkeit der bindungsunfähigen Hackerin, die zur Überraschung ihrer Bühnenpartnerin doch noch eine Sexszene bekommt.

Manches ist glänzend beobacht, messerscharfe Dialoge mitten aus dem Leben zielen auf den Kern, etwa als die Frau ihrem Partner gesteht, dass sie seit drei Jahren den Orgasmus meist nur vortäuscht und ihm vorwirft, dass er mit ihr wie mit einer kaputten Waschmaschine umgehe, oder die Diskussion eines Mannes mit seiner bisexuellen Freundin, ob sie nichts vermisse, die mit schnellen Kontern unterhält. Vieles ist komisch, das Publikum lacht dankbar über manche gelungenen Gags.

Das Gerüst trägt aber nicht über die kompletten zwei Stunden: zwischen den Pointen plätschert der Abend eher gemächlich und banal dahin. Die Schauspieler testen ihre eigenen Schamgrenzen aus, wenn sie in Dessous und Fetisch-Klamotten an den Bühnenrand treten und wetteifern, wer die ungewöhnlichste Sexfantasie erzählt.

Man muss Yael Ronen und ihrem fünfköpfigen Ensemble jedoch zugute halten, dass der Abend am Ende doch noch überraschend gut funktioniert: die temporeichen, schnell geschnittenen Szenen und das Glucksen im Publikum werden von längeren, sehr melancholischen Passagen abgelöst. Der Soundtrack trägt dazu bei, dass es im Saal ruhiger wird und die Zuschauer mit nachdenklichen Gesichtern zum Hinterausgang gehen, weil auf dem Vorplatz die zehn Schauspieler in Fallen ihre Kräfte messen und ihre Körper aufeinanderprallen lassen. Ein interessanter Kontrast zu den selbstquälerischen Beziehungsgesprächen der Paare in ihrer Erotic Crisis!

Erotic Crisis am Gorki: die Uraufführung war am 13. September 2014

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