A beautiful day

Die Novelle „You were never really here“ von Jonathan Ames ist eine Steilvorlage für einen B-Movie-Reißer. Sie erzählt von einem Auftragskiller, der Mädchen aus den Fängen eines pädophilen Zuhälterrings holen will und sich dabei in einem Geflecht aus Politik und organisiertem Verbrechen verstrickt.

Für einen anderen Weg entschied sich Lynne Ramsay: Sie schickt ihren Hauptdarsteller Joe (verschwitzt, bullig und zottelbärtig: Hollywood-Star Joaquin Phoenix) auf einen Trip durch die hässlichsten Ecken New Yorks und in die eigene Vergangenheit. Er wird von plötzlich auftretenden Erinnerungen und Flashbacks gequält. Die Stimmen im Kopf lassen ihn nicht los. Schon in der ersten Szene zählen Kinder leise von 50 bis 1 rückwärts, dieses Leitmotiv zieht sich durch den Film.

Statt eines klassischen Erzählkino-Plots, der die Konventionen des Genres bedient, arbeitet Ramsay in „You were never really here“ mit Auslassungen und Andeutungen. Die verwaschenen Bilder lassen die Gewalt des Auftragskillers, der mit seinem Hammer unterwegs ist, oft nur erahnen. Die Feuilletons fühlten sich an zwei Vorbilder aus dem Kunstkino erinnert. Philipp Stadelmeier verglich die Bildsprache in der Süddeutschen Zeitung mit Takeshi Kitano: „Wie bei ihm sieht man hier weniger die Gewalt als die Spuren, die sie hinterlässt. Joe schlägt trocken und regungslos zu, ohne dass man die Schläge selbst sieht – nur die Körper, die durchs Bild fliegen, und das Blut, das fließt.“ Philipp Bühler dachte in der Berliner Zeitung an Claire Denis und ihre „maskulinen Studien“: „Gewalt interessiert Ramsay und Phoenix nicht als physischer Akt, sondern in ihren Folgen. (…) Analog dazu zeigt der Film kaum die Schläge, aber das Blut und die Narben auf seinem Körper.“

Ungewöhnlich ist auch die Tonspur: Der grundrauschende Lärmpegel der Metropole mischt sich mit den suggestiv-hämmernden Rhythmen des Radiohead-Leadgitarristen Jonny Greenwood und kitschiger Wohlfühl-Schlagermusik, die Ramsay mit Vorliebe als Brechung nach den Gewaltexzessen einsetzt.

„You were never really here“ ist ein fordernder, sperriger Film, der Erwartungen unterläuft und anstrengt. Die Jury in Cannes überzeugte dieses Konzept: Regisseurin Lynne Ramsey bekam eine Silberne Palme für das Beste Drehbuch, Joaquin Phoenix wurde als Bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Mich hat der Vorgänger-Film der Regisseurin, das packende Drama „We Need to talk about Kevin“ (2011) mit Tilda Swinton als Mutter eines amoklaufenden Jugendlichen mehr überzeugt.

In Deutschland war „You were never really here“ bereits im Spätherbst 2017 zum Abschluss des „Around the world in 14 films“-Festivals zu sehen. Am 26. April 2018 startete er unter dem Titel „A beautiful day“, der den Schluss-Dialog aus einem Diner aufnimmt, in den deutschen Kinos.

Bilder: © 2018 Constantin Film Verleih GmbH

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