Der Goldene Bären-Gewinner 2019 ist vieles in einem: rätselhafter Spaziergang durch Paris, heftige Kritik an Israel, Satire auf Integrationskurse, Hommage an die französische Nouvelle Vague und semi-autobiographische Vergangenheitsbewältigung des Regisseurs Nadav Lapid. Aber vor allem macht diesen Film der Hauptdarsteller Tom Mercier zum Ereignis. Lapid erzählt im Presseheft davon, wie der junge Schauspielstudent beim Casting auftauchte, eine fesselnde Performance improvisierte und ihn staunend zurückließ.
Mercier wirft sich rückhaltlos in die Rolle des Yoav, eines Israeli, der nach dem Militärdienst dringend eine Auszeit braucht. Anders als viele seiner Landsleute reist er nicht nach Goa, sondern nach Paris und steht dort ganz auf sich alleingestellt: Nackt, seines letzten Hemdes beraubt, in einer leeren Wohnung, klopft er an die Nachbartür und wird von einem Paar in eine klassische Dreiecksgeschichte hineingezogen.
In den stärksten Szenen des Films driftet Yoav einfach nur durch Paris. Mantraartig murmelt er die Einträge des Wörterbuchs vor sich hin, reiht ein Synonym an das nächste und will sich die neue Sprache einprägen. Mit seinen Wurzeln bricht er radikal: in einem kurzen Wutausbruch belegt Yoav seine Heimat Israel mit einer ganzen Ladung negativer Adjektive, die den erwarteten Proteststurm auslösten.
„Synonymes“ legt den Finger in die Wunden, porträtiert einen Traumatisierten, der unter Erinnerungen und Rückblenden leidet. Er identifiert sich mit Hektor, dem tragischen Helden aus Homers Ilias, der von Achill drei Mal um die Tore Trojas geschleift wurde.
Aber auch in der neuen Heimat kommt er nicht an. Der Integrationskurs, in dem Yoav und seine Mitstreiter*innen den Text der Marseillaise aufsagen und Fragen zum Wertekanon beantworten müssen, wird wunderbar satirisch aufs Korn genommen. Nach einer Konfrontation mit seiner Frau läuft er schimpfend durch Paris und rechnet mit den Passanten ab.
Lapid, der mit seinen Filmen „Policeman“ (2011, Locarno) und „Kindergarten Teacher“ (2014, Cannes) bereits Stammgast auf den großen internationalen Festivals ist, legte mit seinem Berlinale-Debüt „Synonymes“ einen faszinierend-vielschichtigen, bemerkenswerten Film vor. Ein würdiger Gewinner des Goldenen Bären 2019.
Bilder: © Guy Ferrandis / SBS Films