Tanz im August 2021

Nach der Zwangspause im Jahr 2020, die mit Online-Formaten und Outdoor-Projekten überbrückt wurde, gab es im August 2021 endlich wieder ein Tanz-Festival auf Berlins Bühnen. Einige der eingeladenen Arbeiten möchte ich in dieser Festival-Bilanz vorstellen.

Zur Eröffnung gastierten zwei Produktionen aus europäischen Nachbarländern: „WEG“ von Ayelen Parolin, einer argentinischen Choreographin, die in Belgien arbeitet, sollte schon im vergangenen Jahr gezeigt werden. Schön, dass es gelungen ist, zumindest einige der geplanten Produktionen herüberzuretten!

Als Eröffnungsproduktion ist WEG allerdings eine sehr ungewöhnliche Programmierung. Zu sperrig und avantgardistisch wirkt diese Arbeit, die an drei Abenden im HAU 1 zu sehen ist. Lea Petra drischt mit allerlei Gegenständen live auf der Bühne auf ihr Klavier ein. Die acht Tänzerinnen und Tänzer performen dazu minimalistische, zuckende Bewegungen, staksen storchenhaft.

„WEG“ hat seinen Reiz vor allem für Freunde des skurrilen Humors. Eine kleine Prise Queerness bringt Daan Jaartsveld in den Abend, der ein pinkes, hautenges Dress mit Federboa-Applikation trägt, wie es die Turnerinnen bis zum medienwirksamen Protest von Elisabeth Seitz im Leistungssport tragen mussten.

Bild: Hofmann

Ansonsten ist die Stunde oft quälend redundant, das Bauprinzip des Abends ist schon im kurzen Trailer klar und hat sich nach zwanzig Minuten erschöpft. Vom intellektuellen Überbau ist wenig zu spüren: Dramaturg Olivier Hespel erklärt im Programmheft, dass Gespräche mit dem Chaosforscher Pierre C. Dauby von der Universität Lüttich das Fundament dieser Produktion bilden, die noch vor dem Lockdown im Herbst 2019 in Charleroi Premiere hatte. Hinter all den Zuckungen ist dies aber kaum zu bemerken.

Durch heftigen Gewitterregen ging es mit dem Shuttle-Bus quer durch die Stadt in den Nordosten. Die Festival-Chefinnen Virve Sutinen und Annemie Vanackere haben sich vorgenommen, bei dieser Ausgabe eine Reihe ungewöhnlicher Orte zu bespielen, dazu gehört auch die Freiluftbühne Weißensee. Tatsächlich erwischten Anne Nguyen und ihre par Terre Dance Company für Underdogs eine längere Regenpause und Kultursenator Klaus Lederer nahm sich auch für die Tanz-Eröffnung ein paar Minuten Zeit, bevor er zu seinem Lieblingsprojekt weitereilte, dem Pilot-Versuch, die Clubs mit PCR-Tests trotz sich anbahnender vierter Delta-Welle zu öffnen.

Mit Vorfreude wurde der Auftritt der französischen Street Dance Company von Anne Nguyen erwartet: 2019 war „Kata“ im Radialsystem der Höhepunkt des Festivals und ein wohltuender Kontrapunkt zum Rest des Programms, der sich zu sehr in den Nischen der Tanzwelt verlor. Ihr neues Stück „Underdogs“, das nur von drei Personen (Sonia Bel Hadj Brahim, Arnaud Duprat und Pascal Luce) getanzt wird, hat jedoch nicht mehr die vibrierende Energie und den Temporeichtum ihres letzten Gastspiels. Die aktuelle Produktion der par Terre Dance Company, die erst im Juni in Paris Premiere hatte, taucht in die Soul-Klänge der 1970er und 1980er Jahre ein. Die Tänzerinnen und Tänzer zitieren Posen von Straßenkämpfern, ballen die Faust im Black Panther-Stil und reihen Bild an Bild. Zu beliebig wirkt die Aneinanderreihung der Szenen.

Die einzelnen Bewegungen von „Underdogs“ sind sicher präzise choreographiert. Das Trio zelebriert die Langsamkeit der Bewegungen, agiert in Zeitlupe. Auf der großen Freiluftbühne wirkt diese Arbeit aber oft verloren. Im weiten Rund der Arena sitzt das Publikum auf den vor Nässe triefenden Bänken zwischen Regenponchos und Mückenschwärmen zu weit vom Geschehen entfernt. Die subtilen Choreographien, die im Großaufnahme-Zoom oder in einer kleineren, intimeren Spielstätte wie dem Radialsystem ihre volle Wirkung entfalten könnten, kommen nicht recht zur Geltung.

Die zweite Festival-Woche eröffnete der singapurische Berliner Künstler Choy Ka Fay mit Postcolonial Spirits, einem Hybrid aus Live-Performance im HAU 1, eingespieltem Archiv-Material und Live-Stream-Schalten nach Java. Der 75minütige Abend ist Teil des ethnologischen „CosmicWander“-Projekts, in dem der Künstler seit Jahren die schamanische Kultur in Südostasien, traditionelle Tanzstile wie den indonesischen Dolalak und koloniale Einflüsse untersucht. Während des ganzen Festivals kann man auch seine immersive Installation „CosmicWander im Neuköllner Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst besuchen.

Recht unentschieden wirken diese „Postcolonial Spirits“, auf der Bühne in Berlin führt Vincent Riebeek durchs Programm, der durch seine Zusammenarbeit mit Theatertreffen-Shooting-Star Florentina Holzinger bekannt wurde. Er schlüpft in schillernde Kostüme, performt diverse Tanzstile und referiert vor allem über seine Familiengeschichte: seine Großeltern, die auf Archivaufnahmen zu sehen sind, lernten sich während der Kolonialzeit kennen. Immer wieder holt er auch Andri Kurniawan per Live-Schalte aus Java dazu. Mit verbalem Ping-Pong und synchronen Tanz-Einlagen lockern sie den kurzen Abend auf, der allerdings eher an eine Lecture Performance erinnert, die ihren interessanten Gegenstand zu unschlüssig umkreist.

Die beiden prominentesten Namen des zweiten Festival-Wochenendes sind die Choreographinnen Constanza Macras und Dorothée Munyaneza, die ihre Arbeiten nun auch live zeigen, über die ich schon während der Lockdown-Streaming-Phase berichtet habe: im Mai lief bereits die digitale Version von Stages of Crisis, einer leider recht beliebigen Märchen-Adaption, die die argentinische Choreographin Macras mit ihrem Ensemble Dorky Park entwickelte und die an zwei Open Air-Abenden in den Gärten der Welt zu erleben ist. Bereits über diverse Festival tourte „Mailles“ von Dorothée Munyaneza. In Deutschland war es erstmals im Juni als Stream bei den Schillertagen in Mannheim zu sehen, das afrikanische Frauen-Ensemble kommt nun live für zwei Gastspiel-Vorstellungen an die Volksbühne, die sich gerade auf den Start der Intendanz von René Pollesch vorbereitet.

Ein ironisches Spiel mit Tanzstilen führen James Batchelor und seine drei „Collaborators“ George Hampton-Wale, Giorgia Ohanesian Nardin und Jacqueline Trapp in den Sophiensaelen auf. Für „An Evening-length Performance“ ist der Festsaal komplett leergeräumt, die Performer*innen betreten die Tanzfläche im Party-Outfit mit Sneakern, der in Berlin lebende australische Choreograph James Batchelor trägt dazu ein neongrünes Muskel-Shirt, auch sonst erinnert die Atmosphäre zu leisem Electro-Wummern an einen Club.

Bild: Morgan Hickinbotham

Das Quartett beginnt jedoch damit, barocke Tanzschritte zu zitieren und zu persiflieren. Aus zeitgenössischen und barocken Motiven entsteht ein ungewöhnlicher, oft skurriler Cross-Over. Nachdem diese interessante Idee durchdekliniert ist, zerfasert der Abend in der zweiten Hälfte mit kleinen Pantomime-Einlagen. Die Einfälle tragen nicht über die komplette Stunde, auf die diese Performance gestreckt wurde.

Eine der alten Industrie-Hallen in der Tristesse von Oberschöneweide am südöstlichen Stadtrand Berlins bespielten Stephanie Thiersch und Brigitta Muntendorf mit ihrem Crossover-Projekt „Archipel -Ein Spektakel der Vermischungen“, das im Juni 2021 bei Festival Theater der Welt in Düsseldorf Premiere hatte, und opulente Kostüme, eindrucksvolle Installationen mit Tanz, Performance und dem wegen der Corona-Regeln nur per Video zugeschalteten Chor „Det Norske Solistkor“.

Die Vorsichtsmaßnahmen werden mit weitem Abstand und konsequent durchgesetzter Maskenpflicht hier immer noch sehr ernst genommen, während sich die großen Staatstheater in der seligen Illusion wiegen, dass schon fast alles wie vor der Pandemie ist. Im Zentrum der Bühne stehen verwinkelte Bauten von Sou Fujimoto, mit roboterhaften Bewegungen kreist das Ensemble um diese begeh- und beturnbare Skulptur.

Archipel: ©mouvoir/Martin Rottenkolber

„Archipel“ ist eine dieser rätselhaft-sperrigen Arbeiten über neohumanoide Dasein, die dem Hype um Donna Haraway folgen. Eine Welle von Performances und Theaterarbeiten, die sich von der feministischen Biologin und ihren Thesen vom neohumanoiden Dasein und neuen Symbiosen inspirieren ließen, entstand in den vergangenen Monaten und Jahren. Auch die 90 Minuten „Archipel“ schweben wie die Vorgänger-Arbeiten in hermetischen Parallel-Welten, sind visuell eindrucksvoll, aber recht unergiebig.

Zum Festival-Abschluss wehte der zugige Herbstwind nach einem verregneten Tag durch die Baustellen am „Haus der Statistik“. Der überdachte Autoscooter in der Nähe des Alexanderplatzes ist derart heruntergekommen, dass er den passenden Favela-Charme für die Gangsta-Rap und HipHop-Choreographie „Frontera/Border – A living Monument“ hat.

Die Choreographin Amanda Piña, die in Mexico-City und Wien lebt, zitiert den Look und die Bewegungsmuster der Gangsta-Rapper. Wie in Zeitlupe lässt sie ihr Ensemble immer wieder auf das Publikum zumarschieren, das auf den Klappstühlen friert: stilisierte Posen, die erstarren und abbrechen, bevor die Gang erneut losmarschiert.

Bild: Dajana Lothert

Das ironische Spiel mit Tanzstilen und die Auseinandersetzung mit kultureller Aneignung bilden den roten Faden, der in fast jeder ausgewählten Arbeit des „Tanz im August“ 2021-Jahrgangs deutlich wird. Auch bei dieser letzten Performance ist es zentral, dass der Eroberungstanz der spanischen Kolonial-Herren mit indigenen Mustern verwoben wird. Erst als der Percussionist Jogue luis Cruz Carrera mit Trommelwirbel die Bühne betritt, bricht sich die aufgestaute Energie des Abends für ein furioses Tanz-Finale ihre Bahn.

Vorschaubild aus „Underdogs“: Patrick Berger

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