Donezk.UA

Einen Blick zurück werfen Andreas Merz und sein ukrainisch-deutsches Team in ihrem aktivistischen Doku-Infotainment-Projekt „Donezk.UA“: Vor vierzehn Jahren interessierte sich im Westen kaum jemand für die Ukraine, erst recht nicht für den östlichen Landesteil, den Donbass. Dorthin brach Merz auf: nach einer Regieassistenz beim damaligen Volksbühnen-Patriarchen Frank Castorf fuhr er nach Donezk, um Straßentheater zu machen. Mehrere Regiearbeiten in Russland folgten, bis zur Komplett-Invasion ins ukrainische Nachbarland im Februar 2022.

Von einer quirligen Studentenstadt mit reichem kulturellem Leben berichten die vier ukrainischen Spielerinnen Kateryna Goncharova, Zoriana Dybovska, Alina Kostyukova, Valeriya Treshchova. Wir sehen Videomaterial von einem Beyoncé-Konzert, die ein Oligarch zur Einweihung des Stadions einfliegen ließ, das für die Fußball-EM 2012 gebaut wurde. Einige wacklige Bilder gibt es auch von der Straßen-Performance und den herumalbernden jungen Schauspielern.

Um ein Reenactment der damaligen Inszenierung geht es dem Team aber auch gar nicht, viel mehr um eine kritische Reflexion der enttäuschten Hoffnungen und Illusionen. Martin Schnippa, der als Alter ego des Regisseurs auf der Bühne steht, murmelt, dass ihm damals schon klar gewesen sei, dass sich der Traum von einem EU-Beitritt der Ukraine auf absehbare Zeit erfüllen werde.

Auf die unbeschwerte Zeit folgten die Maidan-Proteste und der Stellungskrieg mit den Separatisten im Donbas, der 2014 begann und den Westen bald nicht mehr interessierte. Das damalige Team wurde in alle Winde zerstreut, erst recht nach der Voll-Invasion von 2024. Die Frauen sind nach Kiew oder Berlin geflüchtet, die Männer bereiten sich auf den Kriegseinsatz vor oder ihr Verbleib ist unbekannt, berichten uns die Spielerinnen.

Das Team gibt sich alle Mühe, die bittere, nur allzu bekannte Geschichte vom Leid in der Ukraine durch Comic Relief aufzulockern. Das Frontaltheater-Graubrot wird durch Einsprengsel aus dem Din Quijote-Stoff, den „Schneewittchen“-Rückblicken einer Frau als angebliche Oligarchen-Gattin oder kleinen Gags des Regisseur-Alter egos aufgelockert, der sich im Trainingsoutfit hinknien muss und Schläge für schlechtes Übersetzen kassiert. Auch eine Mitmach-Szene aus dem Klischeebaukasten der Freien Szene wird dem Publikum an diesem schwülheißen Abend im TD (ehemals Theaterdiscounter) nicht erspart, aber ebenfalls sofort ironisch gebrochen.

Der Infotainment-Abend endet mit einem mehrteiligen Panorama, das schon im Foyer zu sehen war, und nun hereingeschoben wird, und geht in den aktivistischen Appell einer Spielerin über: dringend sei die Ukraine auf Waffenlieferungen angewiesen, vor allem Drohnen fehlten, deshalb möge jeder im Publikum seinen finanziellen Beitrag leisten.

In Berlin gab es bislang nur drei Vorstellungen des Freie Szene-Projekts „Donezk.UA“. Falls es weitere Vorstellungen geben sollte, wäre es interessant, wie das Publikum in den Regionen auf diesen Appell reagiert, in denen AfD oder BSW ihre Hochburgen haben und ganz andere Positionen zu dieser Streitfrage vertreten.

Bild: Inga Perederii

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