Zum mittlerweile vierten Mal lud Dragqueen Sheila Wolf zum „Boylesque Drag Festival“ in den Wintergarten. Als Co-Conférencière hat sie sich Lolo Brow aus London dazugeholt. Während die eine mit Berliner Schnauze das Publikum anpflaumt, schmeichelt sich die andere in very British English bei den „gorgeous creatures“ ein und hat mit ihrer „Bad Romance“-Nummer einen der Höhepunkte der knapp 3,5stündigen ersten Show. Vor allem den Junggesellinnen-Abschied im hinteren Block konnte sie dazu animieren, lauthals mitzusingen.
Bild von Lolo Brow: Scott Chalmers Photography
Abwechselnd moderieren sie die Show-Acts an. Obwohl das Wintergarten-Variéte an diesem ersten Abend komplett ausverkauft ist, beginnt die Show mit angezogener Handbremse. Die Erotik bleibt dezent, erst langsam nehmen die Acts Fahrt auf. Die Highlights haben die beiden Zeremonien-Meisterinnen dramaturgisch ans Ende gesetzt: Der Spanier Dito Castro zeigt in seinem Solo am meisten Verführungskunst und versteht es am besten, seinen Körper in Szene zu setzen.
Bild von Dito Castro: Asensio photo
Sylvester, eine nonbinäres Mystery-Wesen auf vier Beinen, legt den kinkiest Auftritt auf die traditionsreiche Varieté-Bühne, deren namensgleicher Vorgänger schon im Kaiserreich und in der Weimarer Republik das Berliner Nachtleben prägte.
Klassische Boys sind nur die wenigsten Acts. Das Festival bietet ganz bewusst einen sehr diversen Mix aus den verschiedensten Nationen und spielt genderfluid mit den Geschlechtergrenzen und Rollenbildern. Überraschend ist, wie bürgerlich und wohlsituiert das Publikum wirkt, das den schillernden, extravaganten, in ihrer Geschlechtsidentät oft schwer zu greifenden Künstler*innen applaudiert.
Als das Publikum zum 2. Abend trotz aller Bus-Umleitungen in den Wintergarten strömte, räumte die BSR draußen auf der immer noch abgesperrten Potsdamer Straße die Hinterlassenschaften des CSD weg. Gut aufgelegt meldeten sich die Hosts zurück, das Publikum schien von Beginn an auf höherer Betriebstemperatur, obwohl knapp dreißig Karten nicht verkauft worden waren.
Frisch verliebt schossen sich beide Gastgeberinnen auf Olaf ein, der sich ganz vorne an der Rampe postiert hatte, für jede Stichelei zu haben war und beim Paartanz mit Lolo die Hüften kreisen ließ, bis er den verdienten Szenenapplaus bekam. Sheila verwöhnte ihn mehrfach mit Schokoriegeln, die sie unter dem Kleid hervorzog, und ließ noch einen Sekt für ihren Liebling springen.
Auch künstlerisch hatte der Samstag mehr zu bieten: der Chocolate Boy aus Paris setzte Akzente und Drag-Legende Sherry Vine, die auch schon am Vortag dabei war, lief nach 34 Jahren im Showbusiness mit ihrem Markenzeichen, lasziven Überschreibungen und Parodien von Evergreens wie „Perhaps Perhaps Perhaps“ von Doris Day, dem Inbegriff biederer Familienunterhaltung der 1950er und 1960er Jahre, zu großer Form auf. Natürlich waren auch beiden hervorstechendsten Künstler des ersten Abends beim 2. Teil des Boylesque Drag Festival wieder mit dabei.
Vorschaubild: bambinissimo