Dokumentarisches Expertentheater trifft auf Tanz: die Salzburger Festspiele kündigten eine mit Spannung erwartete, ungewöhnliche Zusammenarbeit an. Stefan Kaegi, einer der Köpfe des Rimini Protokoll-Kollektivs, ging auf Sasha Waltz zu und schlug ihr eine gemeinsame Produktion vor.
Sie planten folgende Versuchsanordnung: das Publikum guckt nicht wie im Theater üblich auf eine Bühnen-Performance, sondern sieht, als sich der schwere Vorhang öffnet, nur sich selbst in einem Spiegel. Leitfrage der 80 Minuten ist, wie sich gruppendynamische Prozesse entwickeln. Wie pflanzen sich Bewegungsmuster fort? Was geschieht, wenn einzelne im Publikum bestimmte Gesten machen? Werden sie imitiert? Ab wann entsteht eine kritische Masse?
Gezielte Interventionen der jungen Tänzerinnen und Tänzer von Sasha Waltz & Guests, die strategisch im Raum verteilt sind, schicken immer wieder neue Wellen durch den Saal. Angenehm an diesem Mitmachtheater-Projekt, dass es ausdrücklich möglich ist, sich dem Gruppendruck zu entziehen und nur still zu beobachten. Vor allem die erste Reihe tut dies bei der Berlin-Premiere der Co-Produktion „Spiegelneuronen“ im Radialsystem V konsequent, aber auch ein prominenter Ex-Intendant, der neben dem Gastgeber-Paar Waltz/Sandig im Zentrum des Publikums platziert wurde, ließ sich kaum aus der Reserve locken.
Die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun lobt in einem der zahlreichen aus den Off eingespielten Kommentare die Skepsis als eine sehr gesunde Lebenseinstellung, die für eine Demokratie durchaus gewinnbringend sein kann. So bestärkt kann man sich entspannt zurücklehnen und das muntere Treiben weiter beobachten.
Worauf Kaegi, Waltz und ihre Mitstreiter hinauswollen, wird jedoch nicht so recht klar. Der Abend ist ein seltsamer Mix aus albernem Kindergeburtstag-Luftballon-Herumschubsen, Lockerungsübungen und bedeutungsschwer vorgetragenen Schnipseln aus diversen Wissenschaftsdisziplinen von Soziologie bis Hirnforschung.
Der Erkenntnisgewinn ist gering. Immerhin ist die Stimmung an diesem Sommerabend heiter, man blickt in viele fröhliche Gesichter und nicht nur zum Abschluss-Song „Creep“ von Radiohead wird ausgelassen getanzt.
In Berlin gibt es in den kommenden Tagen noch drei weitere Möglichkeiten, am „Spiegelneuronen“-Experiment teilzunehmen. Im Herbst wird die Koproduktion nach Köln und Kampnagel weiterwandern.
Bilder: Bernd Uhlig