Ein Volksbürger

Selten sind Theaterproduktionen mit ihren langen Konzeptions-und Probevorläufen so nah am aktuellen Tagesgeschehen wie „Ein Volksbürger“ der Freie Szene-Compagnie Nico and the Navigators. Der Text stammt von Maximilian Steinbeis, Chefredakteur des Verfassungsblogs, der im „Thüringen-Projekt“ und weiteren Publikationen einige Szenarien durchgespielt hat, was passieren könnte, wenn charismatische Populisten die Grenzen des Rechtsstaats bewusst austesten.

Am Donnerstag, einen Tag vor der Premiere, gab es einen ganz realen Fall, der den Thüringer Landtag ins Chaos stürzte. Der Alterspräsident Jürgen Treutler, bis vor kurzem Rentner, jetzt Mitglied in Björn  Höckes AfD-Landtagsfraktion, und die Vertreter von CDU, BSW, Linken und SPD stritten stundenlang über die Auslegung von Verfahrensregeln. Mehrmals wurde die konstituierende Sitzung unterbrochen und endete mit einem Eklat: am Donnerstag Abend war immer noch kein Landtagspräsident gewählt, die CDU rief den Landesverfassungsgerichtshof an, der am späten Freitag Abend für rechtliche Klarheit sorgte und den Weg für die Wahl des Parlamentspräsidenten am Samstag Vormittag frei machte.

Genau während dieser juristischen Hängepartie hatte im Haus der Bundespressekonferenz, wo normalerweise die Hauptstadt-Presse die Sprecher der Ministerien oder Politiker befragt, die Polit-Farce „Ein Volksbürger“ am Freitag Abend Premiere. Die zweite Vorstellung wurde am Samstag von arte als Live-Stream übertragen.

In diesem Stück geht es um den fiktiven Populisten Dominik Arndt, der mit seiner „Demokratischen Allianz“ die absolute Mehrheit im Freistaat gewinnt und breitem, schmierigem, selbstgefälligem Grinsen zur Pressekonferenz radelt. Er gibt sich im Interview mit Ex-ZDF-Hauptstadtstudio-Chef Theo Koll als Versöhner und Zentrist, spießt all die Alltagsprobleme auf, die jeder von uns kennt: die schleppende Digitalisierung, die Funklöcher im Netz und die Papierflut der Ämter, wenn man überhaupt einen Termin ergattert. Doch hinter der lächelnden Fassade setzt er einen Kurswechsel in der Migrationspolitik um. Eine engagierte Journalistin (Morgane Ferru) stellt mehrfach Nachfragen, da sie hinter einer bedenklichen Häufung vermeintlicher Einzelfälle ein Muster entdeckt hat, wie die populistische Regierung Standards schleift.

Im Lauf eines Jahres tritt Arndt alias Hinrichs immer wieder vor die Pressekonferenz und lässt alle Kritik wie Teflon an sich abprallen, teilweise sekundiert von einem hemdsärmeligen Landrat, der die Integrations-Nöte vor Ort schildert (gespielt von Stefan Merki aus dem Ensemble der Münchner Kammerspiele, wohin diese Vorstellung auch live gestreamt wurde). Verwaltungsgerichtsurteile ignoriert er und macht sich einen Spaß daraus, die Vorsitzende der Pressekonferenz (Klara Pfeiffer) und die sich hinter Floskeln verschanzende, hilflos um Geduld werbende Sprecherin der Bundesregierung (Annedore Kleist) feixend vorzuführen.

Eine Lehre dieses Gedankenexperiments ist, wie hilf- und ratlos das Establishment wirkt, wenn sich Populisten grinsend über gewohnte Spielregeln hinwegsetzen. So interessant und diskussionswürdig das hier entwickelte Szenario ist, hat der Theaterabend doch eine entscheidende Schwäche: in den knapp zwei Stunden wiederholt sich zu oft ein hölzernes Frage- und Antwortspiel, gespickt mit juristischen Paragraphen. Der Volksbühnenstar Hinrichs darf als rhetorisch überlegener Volkstribun glänzen, die von Schauspieler*innen gespielten, im Publikum verteilten Journalist*innen sind meist nur Stichwortgeber. Ihren Fragen fehlt die Doppelbödigkeit und Raffinesse ausgebuffter BPK-Veteranen, die ihre Köder auslegen, in denen sich auch ein Medienprofi vom Schlage Dominik Arndts verfangen könnte.

Fragezeichen hinterlässt auch der Schluss: nach einem Jahr ist der Spuk vorbei, der „Volksbürger“ ist „ins Land, wo die Zitronen blühen“ geflohen. In einer letzten Videoschalte meldet er sich zu Wort, seine Rede trieft vor Goethe-Zitaten und Pathos, mündet in eine ironisch geschmetterte „Nessun dorma“-Arie: Ein Kabinettstückchen des Volksbühnenstars, aber diese Volte fügt sich nicht schlüssig in die bisherige Charakterisierung der Figur ein.

Bild: Falk Wenzel

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