Il Cimento dell’Armonia e dell’Inventione

Konsequent unterläuft Anne Teresa de Keersmaeker die Erwartungen in ihrer neuen Choreographie, die auf Antonio Vivaldis Barock-Blockbuster-Hit „Le quattro stagioni“/„Die vier Jahreszeiten“ basiert. Die Bühne bleibt anfangs leer, die Musik bleibt stumm, einsam blinken die Neonröhren im Hintergrund. Unruhig murmelt das Publikum an diesem zweiten Abend der „Performing Arts Season“ im Haus der Berliner Festspiele weiter.

Langsam kommt das Tänzer-Quartett auf die Bühne, drei bleiben an der Seite, nur Boštjan Antončič rückt ins Zentrum. Es erklingt immer noch kein Vivaldi-Ton, während er eine groteske Vogel-Pantomime aufführt, die an Sebastian Blombergs Auftritt in Thorsten Lensings „Unendlicher Spaß“ erinnert. Während dieses skurrilen Solos setzt Vivaldis Werk ein, aber mittendrin im Herbst. Die nächste bewusste Irriation, mit der Keersmaeker und ihr Co-Choreograph Radouan Mriziga arbeiten.

Irgendwann liefert das Duo gnädigerweise doch das Erwartete: die berühmten Vivaldi-Klänge setzen in einer Aufnahme von 2015 von Amandine Beyer ein. Die vier Tänzer Boštjan Antončič, Nassim Baddag, Lav Crnčević und José Paulo dos Santos drehen sich um die eigene Achse und erinnnern von fern an den Stil der Barocktänze. Natürlich kann niemand das Drehen und Kreiseln der Körper so meisterinnenhaft elegant inszenieren wie Keersmaeker.

Der 90minütige Abend bleibt sich jedoch treu und setzt seine Irritationen fort: immer wieder bricht die Vivaldi-Einspielung ab, wird nur stumm getanzt, bis das nächste Barock-Häppchen folgt. Aber auch die Handschrift des Co-Choreographen Radouan Mriziga, der 2012 seinen Abschluss an der von Keersmaeker gegründeten Brüsseler P.A.R.T.S.-Akademie machte, schreibt sich in die Choreographie: das elegante Kreiseln und Drehen wird durch Stampfen und Steppen durchbrochen. Nassim Baddag, der erstmals mit den Rosas arbeitet, bringt Breakdance-Moves ein und bekommt Szenen-Applaus für seinen Kopfstand. Überraschend gut funktioniert dieses Ausprobieren und Kontrastieren verschiedener Stile.

Wie ein Nachklapp wirkt das Gedicht „We, the salvage“ der dänisch-somalischen Künstlerin Asmaa Jama, das als weiterer Einspieler vor der Klimakrise warnt. Während Keersmaekers letztes Gastspiel „Exit Above“ noch aus einem Guss wirkte, trägt die neue Arbeit „Il Cimento dell’Armonia e dell’Inventione“ zu überdeutlich die Aufschrift „Konzeptkunst“: zu demonstrativ trägt die Choreographie ihr Spiel mit den unterlaufenen Erwartungen vor sich her.

Nach der Kunstenfestivaldesarts-Premiere im Mai 2024 tourt die Produktion über die koproduzierenden Bühnen. Im Juli lief sie bei ImPulsTanz in Wien und an diesem Oktober-Wochenende an zwei Abenden in Berlin.

Bild: © Anne Van Aerschot

 

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