Linkerhand

Die Handschrift von Sebastian Baumgarten ist in dieser neuen Gorki-Inszenierung klar erkennbar: wieder ein fiebrig-assoziativer Trip in die jüngere Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts, die von wuchtigen Sounds und vor allem den Videos von Chris Kondek dominiert wird.

In weniger als zwei Stunden sprintet die Inszenierung durch markante Stationen des DDR-Kultromans „Franziska Linkerhand“, den Brigitte Reimann nicht mehr vollenden konnte. Sie erzählt von einer jungen Architektin, deren Ideale und Träume sich in der Provinz (Neustadt alias Hoyerswerda) an den verkrusteten Strukturen des Sozialismus reiben. Aufgesplittet auf drei Spielerinnen im Kurzhaar- und Ringelpulli-Einheitslook werden die verschiedenen Facetten der Titelfigur deutlich: Alexandra Sinelnikowa, die vor einem Jahr neu ins Gorki-Ensemble kam, spielt die vorwärts Stürmende, die am Zynismus der Vorgesetzten und Parteikader (gespielt von Falilou Seck und Till Wonka) zerschellt. Die abgeklärteren Passagen der Franziska Linkerhand übernehmen zwei bekannte Gesichter aus Film und Fernsehen: Maria Simon, langjährige Polizeiruf-TV-Kommissarin in Brandenburg, in ihrer ersten Gorki-Gastrolle und Katja Riemann, einer der Stars des Beziehungskomödien-Booms der 1990er Jahre, die zum zweiten Mal nach Sibylle Bergs „Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden“ an Shermin Langhoffs Haus gastiert. Letztere hat auch einen komödiantischen Auftritt als Trinkerin Gertrud, die ihren Frust mit zu viel Alkohol herunterspült. Beide Gast-Stars fügen sich in das Regiekonzept ein.

Dieses stellt immer häufiger Fremdtexte in den Mittelpunkt und löst sich von der Hauptfigur. Von vornherein kamen das Privatleben und die Liebessehnsucht der Franziska Linkerhand kurz, nur eine Randrolle spielt Gorki-Rückkehrer Aleksandar Radenković als Ben. Die politische Desillusionierung der jungen Frau interessierte Regisseur Sebastian Baumgarten und Dramaturgen Holger Kuhla in ihrer Stückfassung mehr. Im letzten Drittel geht es in assoziativem Ritt durch die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts und das Scheitern all der Utopien von lebenswerteren Städten. Um zwischen all den Videos und Schriftzügen, die aufblinken, den Überblick zu behalten, empfiehlt es sich, einen soliden Grundstock an Wissen über Architektur- und Zeitgeschichte mitzubringen. Sonst rauschen die Info-Häppchen zu schnell vorbei.

Im letzten Bild endet die „Linkerhand“-Inszenierung recht unvermittelt bei den rassistischen Pogromen in Hoyerswerda kurz nach dem Mauerfall. Düster und für das Publikum so desillusionierend wie für die Hauptfigur ist dieser Trip in die jüngere Vergangenheit frei nach Brigitte Reimann. Wesentlich elegischer als klassische Romannacherzählung brachte Daniela Löffner den DDR-Roman 2019 an Uli Khuons DT auf die Bühne.

Bild: © Ute Langkafel MAIFOTO

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