Gittersee

Im vergangenen Jahr schaffte es Charlotte Gneuß mit ihrem Debütroman auf Anhieb auf die Longlist des Deutschen Buchpreises und gewann den aspekte-Literaturpreis für vielversprechenden Nachwuchs, außerdem löste sie eine Kontroverse aus. Ingo Schulze warf ihr vor, dass sie als 1992 erst nach dem Mauerfall im württembergischen Ludwigsburg in ihrem Roman über die Stasi-Verstrickung eines jungen Mädchens im Dresdner Vorort Gittersee im Jahr 1976 den damaligen Sprachstil nicht treffe und bei Details als Nachgeborene nicht sattelfest sei.

Ein Jahr später bringt Leonie Rebentisch, die nach mehreren Jahren als Regie-Assistentin ihre erste größere Arbeit im Neuen Haus des Berliner Ensembles zeigen darf, den Roman auf die Bühne. Sie bleibt sehr nah an der Vorlage. Nüchtern-lakonisch erzählen Gneuß und Rebentisch von der 16jährigen Karin (Amelie Willberg): die erste Liebe Paul hat sich ohne Abschied vom Acker gemacht und „Republikflucht“ begannen, wie Stasi-Offizier Wickwalz (Paul Herwig) beim Verhör mitteilt. In der Familie gibt es nur Stress für Karin: die Oma (Rahel Ohm) ist im Kommandoton ständig unter Strom, die Mutter (Kathleen Morgeneyer) ist heillos überfordert und lässt die Teenagerin die kleine Schwester betreuen und verschwindet schließlich ganz. Einziger Lichtblick ist die Mitschülerin Marie (Irina Sulaver), mit der Karin herumalbern kann. Das sind auch die Momente, in denen dieses düstere Stasi- und Flucht-Kammerspiel in Moll ein paar fröhlichere und lebendigere Szenen bekommt.

„Gittersee“ von Charlotte Gneuß, Regie/Bearbeitung: Leonie Rebentisch

Durch dichte Bahnen aus weißen Lamellen schleicht sich Herwigs Stasi-Mann immer wieder aus dem Hintergrund auf die Bühne. Er bietet er die Schulter zum Anlehnen und die warmen Worte, die sie in ihrer Familie vermisst. (Der Vater ist in der Bühnenfassung komplett abwesend.) Roman und Theaterabend erzählen, wie die unsichere junge Frau in die Fänge der Stasi gerät, Leid bei Freunden anrichtet und einen überraschenden Ausweg findet. Zu leise anschwellender Musik von Fabian Kuss und in heruntergedimmtem Licht von Frédéric Dautier wird aber auch diese dramatische Zuspitzung des Plots ganz nüchtern-beiläufig im Kammerspielton erzählt, der die 230 Romanseiten und die zwei Theaterstunden prägt.

„Gittersee“ hatte am 2. November 2024 im Neuen Haus des BE Premiere und ist eine solide Roman-Adaption, mit der sich die junge Regisseurin Leonie Rebentisch dem Publikum vorstellt.

Bilder: Moritz Haase

 

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