Sterbende Demokratien

Wenige Tage vor der befürchteten Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident bot die Reihe „DT Kontext“ zwei Abende unter dem Titel „Sterbende Demokratien“ an. Richard C. Schneider, lange ARD-Korrespondent in Tel Aviv, aktuell beim SPIEGEL, drehte für 3sat ein zweiteiliges Feature, das Mitte Oktober im TV lief und noch in der Mediathek abrufbar ist.

Wesentliche Passagen führte der Journalist nun in der Box bzw. im Rangfoyer des DT vor und ordnete sie mit Kommentaren ein. Schon der Titel ist zwar eine Anspielung auf das Buch „How Democracies die“ der Harvard-Forscher Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, das 2018 während der ersten Amtszeit von Trump erschien. Er spielt in „Sterbende Demokratien“ jedoch nur eine Randrolle als Elefant im Raum.

Film und Vortrag konzentrieren sich auf die unterschiedlich weit fortgeschrittene Aushöhlung der Demokratie in vier europäischen Staaten: Ungarn wurde von Orbán schon seit 2010 zu einer „illiberalen Demokratie“ mit ausgehebelter Gewaltenteilung umgebaut. Als amtierender Ratspräsident der EU provoziert er die Partner mit Vorliebe damit, dass er seine Begeisterung für Trump und Putin bei jeder Gelegenheit kundtut und bremst, sobald es um Hilfe für die angegriffene Ukraine oder eine gemeinsame Migrationspolitik geht. In Italien ist Giorgia Meloni seit zwei Jahren an der Macht und zeigt ein Doppel-Gesicht: sie erklärt sich zwar im Gegensatz zu Orbán mit der Ukraine solidarisch, fährt innenpolitisch aber einen sehr restriktiven Kurs, der zu Verwerfungen bei der RAI oder der italienischen Buchmesse-Delegation führte. Ohne Kabinettsposten ist Geert Wilders die zentrale Figur in der neuen niederländischen Regierung. In Frankreich hat Marine Le Pen gute Chancen, beim nächsten Anlauf ihren Traum zu verwirklichen, Staatspräsidentin zu werden.

Schneider versuchte vor allem, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten: die autoritären Rechtspopulisten eint, dass sie keine komplette Gleichschaltung des Alltagslebens wie totalitäre Regime des 20. Jahrhunderts proklamieren, aber den Staat umbauen und die Checks and Balances schleifen wollen. Sie eint außerdem die Beschwörung eines Nationalgefühls, das durch Feindbilder wie den Islamismus oder liberale Eliten gestärkt wird. Das geeinte Volk soll gegen Dritte abgeschottet werden.

Grundlegend neue Erkenntnisse brachte die Lecture zwar nicht. Aber die heutige Nacht zeigt, wie wichtig es ist, sich mit der Bedrohung für die Demokratie auseinanderzusetzen.

Bild: Ludovic Marin/AFP

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