Als Untote geistert Antigone (Theresa Henning) durch die Klassiker-Fortschreibung der iranisch-schwedischen Autorin Athena Farrokhzad. Die Frau, die unbeirrt Kreon (Denis Pöpping) die Stirn bot und den Tod in Kauf nahm, kommt allerdings erst spät auf die Bühne.
Die ersten Szenen gehören ihrer Schwester, die lebenslang in Antigones Schatten stand: Ismene (zählt die wutschnaubende Susanne Wolff in Lot Vekemans „Ismene, Schwester von“ zu den Hits im Repertoire der Kammer des Deutschen Theaters Berlin.
) ist bei Sophokles die Zaudernde, die von ihrer tatkräftigen, zum Äußersten entschlossenen Schwester heftige Vorwürfe zu hören bekommt und in der antiken Tragödie eine Randrolle spielt. Das forderte schon mehrfach Autorinnen heraus, den alten Mythos neu zu erzählen und aus der Perspektive von Ismene weiterzudenken: seit mehr als zehn JahrenIn der Uraufführung im Theater an der Parkaue, die sich ausdrücklich an ein junges Publikum ab 15 Jahren richtet, tritt die Ismene zunächst zart und mädchenhaft auf. Die gerade mal einstündige Inszenierung von Farnaz Arbabi (Intendantin des Kinder- und Jugendtheaters „Unga Klara“ in Stockholm) schildert ihren Denk- und Reifeprozess, bis sie den klaren Entschluss fasst, in die Fußstapfen der Schwester Antigone zu treten und denselben Kampf gegen Kreon um das Bestattungsritual erneut aufzunehmen. Der pessimistische Grundtenor dieser Antigone-Fortschreibung ist, dass der Kreislauf der Gewalt unerbittlich voranschreitet und die jungen Heldinnen Antigone/Ismene zwingt, sich eindeutig zu positionieren.
Auf der bis auf wenige Scheinwerfer äußerst kargen Bühne 2 des frisch sanierten Theaters an der Parkaue hat Ismene drei ständige Begleiterinnen, den „Chor der kämpfenden Frauen“ (Birgit Berthold, Caroline Erdmann, Elisabeth Heckel), die ihre Gedanken kommentieren und sie in ihrem Entschluss bestärken, gegen den autokratischen Herrscher in Anzug und Krawatte aufzubegehren. In der Schlusschoreograhie stampfen und wüten alle vier gemeinsam und tragen den Protest der Antigone weiter.
Nach den Ankündigungen, die explizit auf die „Frau Leben Freiheit“-Proteste junger Iranerinnen im Herbst 2022 Bezug nahmen, und angesichts der Herkunft der Autorin war es überraschend, das „Antigones Vermächtnis“ eine behutsame Fortschreibung statt einer ins heute verlegten Überschreibung ist. Die Figuren und das Setting der antiken Tragödie bleiben klar erkennbar, vor allem in der zweiten Hälfte werden markante Sophokles-Passagen wörtlich eingeflochten, ausdrückliche Aktualisierungen und Querverweise auf die Proteste im Iran oder andere Widerstandsbewegungen hat der Abend bewusst ausgespart.
Mit langem Applaus wurde der kurze Abend vom ganz überwiegend jungen Zielgruppen-Publikum bedacht.
Bilder: Sinje Hasheider